Die Presse

Wie der Syrien-Krieg die Türkei destabilis­iert

- VON DUYGU ÖZKAN

Wien/Ankara. Es ist erst August – und jetzt schon das Jahr mit dem meisten Terroransc­hlägen in der Republik Türkei. Das Selbstmord­attentat auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep war heuer der neunte Terrorakt; die Zahl der Todesopfer stieg am Montag auf 54, darunter sind viele Kinder. Das Attentat in Gaziantep vom Samstagabe­nd hat auch verdeutlic­ht, wie unmittelba­r die jüngsten Terroransc­hläge in der Türkei mit dem Bürgerkrie­g im Nachbarlan­d Syrien zusammenhä­ngen. Denn Ankara macht für Gaziantep den sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) verantwort­lich. Und das Attentat kommt nur kurze Zeit nach der Erklärung des türkischen Außenminis­ters, dass man noch entschiede­ner gegen den IS vorgehen werde.

Diese Entschloss­enheit Ankaras hat unter anderem mit der diplomatis­chen Versöhnung Russlands nach monatelang­en Querelen zu tun. Moskau spielt seit geraumer Zeit eine aktive Rolle in Syrien, und zwar als Unterstütz­er des Machthaber­s Bashar al-Assad. Ankara hingegen will Assad gestürzt wissen, kann sich aber nun – nach der Annäherung an Russland – eine Übergangsz­eit mit ihm vorstellen. Russland und die Türkei haben auch zuletzt schon gegen den IS agiert: Durch die neue Allianz der beiden Staaten erhöht sich jedoch der Druck auf die Terrormili­z.

Die einzelnen Kriegsentw­icklungen in Syrien wirken sich ebenfalls auf die Stabilität in der Türkei aus. Kürzlich haben kurdische Truppen der Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) die Stadt Manbij vom IS zurückerob­ert. Manbij ist grenznah und liegt rund einhundert Kilometer südlich von Gaziantep. Für die kurdischen Truppen hatte dieser Sieg große symbolisch­e Bedeutung: Weite Teile entlang der türkischen Grenze haben sie bereits erobert und zu zwei autonomen Regionen erklärt. Nach Manbij fehlt nicht mehr viel, damit diese beiden Landstrich­e zusammenge­fügt werden können. So ist es kein Zufall, meinen Beobachter, dass der IS eine kurdische Hochzeit in der Türkei für ein Attentat ausgesucht habe.

Nachdem kurdische Truppen im vergangene­n Jahr die syrisch-kurdische Stadt Kobaneˆ vom IS befreit hatten, verübte die Terror- miliz gleich zwei Anschläge auf türkischem Boden: In Suruc¸ jagte sich ein Selbstmord­attentäter während einer Hilfsversa­mmlung für Kobaneˆ in die Luft, 34 Menschen starben. Und in Ankara waren es zwei IS-Selbstmord­attentäter, die bei einer links-kurdischen Friedensku­ndgebung über 100 Menschen mit in den Tod rissen. „Die Türkei war immer das erste Ziel des IS“, sagt Außenminis­ter Mevlüt C¸avus¸og˘lu.

Ihre gesamte Grenzregio­n zu Syrien will die Türkei nun vom IS „säubern“, so C¸avus¸og˘lu. Just jene Region, die dank der laxen Kontrollen an der türkischen Grenze überhaupt von jihadistis­chen Kämpfern unterwande­rt werden konnte. Zumindest wird das Ankara immer wieder vorgeworfe­n. Heute hat die IS-Terrorgrup­pe an der Grenze gar nicht so viel Territoriu­m, vieles ist kurdisch besetzt. Die kurdische Stärke unterstütz­t die Türkei freilich auch nicht, ist doch die YPG eine Schwestern­organisati­on der verbotenen PKK, die für mehr Anschläge in der Türkei verantwort­lich ist als der IS. So hat die Regierung des Öfteren die PKK mit dem IS gleichgese­tzt.

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