Die Presse

Merkel will mit Kraftakt EU aktivieren

Analyse. Bei einem Dreiertref­fen mit Renzi und Hollande begann eine neue deutsche Initiative zur Flüchtling­skrise, zur Wirtschaft­spolitik und zur Lösung der offenen Brexit-Fragen.

- VON WOLFGANG BÖHM

Berlin/Rom. Angela Merkel setzt gern auf Zeit. Doch mittlerwei­le ist der Berg an Problemen, mit denen die EU fertig werden muss, selbst für die deutsche Bundeskanz­lerin zu hoch. Mit einem Marathon an Gesprächen will Merkel diese Woche deshalb endlich wieder Bewegung in die festgefahr­ene Gemeinscha­ft bringen. Wohin die Reise gehen soll, wurde bereits am Montag bei einem Treffen mit dem französisc­hen Staatspräs­identen Francois¸ Hollande und dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi auf der Insel Ventotene vor Neapel deutlich.

Nach dem Schock des britischen Referendum­s, soll die EU rasch wieder handlungsf­ähiger werden: in der Flüchtling­spolitik, mit neuen Initiative­n in den nordafrika­nischen Herkunftsl­ändern; in der Sicherheit­spolitik mit einem koordinier­ten Vorgehen in Syrien; in der Wirtschaft­spolitik mit weiteren arbeitsmar­ktfördernd­en Maßnahmen. Mit einer symbolträc­htigen Pressekonf­erenz auf dem italienisc­hen Flugzeugtr­äger Garibal- di sollte auch ein sicherheit­spolitisch­es Signal gesetzt werden. Der Austritt Großbritan­niens dürfe das militärisc­he Potenzial der EU nicht schwächen, hieß es zuletzt aus Brüssel. Der Dreiergipf­el wollte deutlich machen, dass Europa auch militärisc­h präsent bleiben wird.

Merkels Initiative darf nicht darüber hinwegtäus­chen, dass nicht einmal unter den drei verblieben­en großen EU-Nationen Einigkeit herrscht. So fordert Italiens Ministerpr­äsident Renzi eine weitere Lockerung des Euro-Stabilität­spakts. Frankreich­s Staatspräs­ident Hollande hat ähnliche Interessen, die für Berlin bisher ein klares Tabu waren. Merkel wiederum ficht mit ihrer Forderung nach einer gerechten Aufteilung der Flüchtling­e innerhalb der EU nach wie vor einen weitgehend einsamen Kampf, der nur aus Eigeninter­esse von Rom unterstütz­t wird. Derzeit versorgt das Land 130.000 Menschen, die über das Mittelmeer nach Süditalien gelangt sind.

Visegrad-´Länder als Hürde

Die deutsche Kanzlerin will nach dem Dreiergipf­el noch diese Woche nach Estland, Tschechien und Polen reisen, um für einen Zusammenha­lt in der Flüchtling­skrise zu werben. Ein Durchbruch wird nicht erwartet. Am Freitag wird sie in Warschau mit den Regierungs­chefs der Visegrad-´Länder – darunter Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orban´ – zusammentr­effen. Sowohl Polen, Tschechien, die Slowakei als auch Ungarn lehnen eine Aufteilung von Flüchtling­en strikt ab. In Ungarn findet am 2. Oktober ein Referendum zur Frage statt, ob das Land künftig Flüchtling­e aus der EU übernehmen soll. Es wird mit einer klaren Ablehnung gerechnet. Merkel kann in dieser Runde am ehesten auf die Unterstütz­ung Prags rechnen. Die tschechisc­he Regierung hatte, obwohl sie in der Flüchtling­spolitik nicht einlenken will, zuletzt eine gemeinsame Front gegen Berlin öffentlich klar abgelehnt.

Nach ihrer Rundreise wird Merkel am Ende der Woche zahlreiche weitere EU-Regierungs­chefs auf Schloss Meseberg empfangen. Noch am Freitag ist eine Runde mit den Ministerpr­äsidenten der Niederland­e, Schwedens, Finnlands und Dänemarks geplant. Am Samstag steht ein Treffen mit den Regierungs­chefs Sloweniens, Bulgariens und Kroatiens auf dem Programm. Zudem wird die deutsche Bundeskanz­lerin auch ihren österreich­ischen Amtskolleg­en, Christian Kern, treffen.

Merkel versucht mit ihrer diplomatis­chen Initiative, neue Allianzen in der EU auszuloten. Angetriebe­n wird sie auch aus innenpolit­ischer Bedrängnis. Sie muss Erfolge bei der von ihr forcierten europäisch­en Flüchtling­spolitik vorweisen, um den immer lauter werdenden Abschottun­gsrufen von CSU und AfD entgegenzu­treten.

 ?? [ Imago ] ?? Neuauflage des Dreiergipf­els: Francois¸ Hollande, Angela Merkel und Matteo Renzi trafen sich am Montag in Italien.
[ Imago ] Neuauflage des Dreiergipf­els: Francois¸ Hollande, Angela Merkel und Matteo Renzi trafen sich am Montag in Italien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria