Machtkampf legt VW-Produktion weitgehend lahm
Streit. Die Prevent-Gruppe liefert keine Autoteile mehr. 28.000 Mitarbeiter sind betroffen.
Berlin/Wolfsãurg. Am Montag standen die Fließbänder bei Volkswagen still. Im Stammwerk Wolfsburg und in der Fabrikshalle in Zwickau wurde kein Golf und kein Passat mehr zusammengebaut. Aus dem Werk in Kassel waren zu wenige Getriebe geliefert worden, weil es dort wiederum an Gehäusen fehlte.
Auch an den VW-Standorten in Emden, Salzgitter und Braunschweig findet nur noch eine eingeschränkte Produktion statt, seit sich zwei Zulieferbetriebe aus Sachsen, ES Automobilguss und Car Trim, weigern, die bestellten Getriebeteile und Sitzbezüge an VW auszuliefern. Aufgrund der Engpässe ordnete der Konzern „Flexibilisierungsmaßnahmen“für rund 28.000 Mitarbeiter an – bis hin zur Kurzarbeit.
Hintergrund ist ein Machtkampf zwischen VW und dem neuen Eigentümer der beiden Zulieferfirmen, der bosnischen PreventGruppe. Volkswagen soll Aufträge im Ausmaß von rund 500 Millionen Euro storniert haben, und zwar „frist- und grundlos“, wie es bei Prevent heißt. Man verlangt eine Entschädigung von 56 Millionen Euro für schon erbrachte Leistungen und wirft VW vor, „seine dominierende Marktstellung gegenüber der Zulieferindustrie“auszunutzen. In Wolfsburg aber lehnt man es ab, diese Summe zu zahlen, weil sie „nicht plausibel“begründet werde.
Nach den gescheiterten Verhandlungen am Freitag wurden die Gespräche am Montagnachmittag in einem Wolfsburger Hotel fortgesetzt. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren sich die beiden Streitparteien noch nicht nähergekommen. Für VW steht – als Plan B – auch die Möglichkeit im Raum, den Gerichtsvollzieher einzuschalten. Die Genehmigung werde es aber nicht vor Ende der Woche geben, teilte das zuständige Landgericht Braunschweig mit. Vor einer Entscheidung müsse auch die Gegenseite die Möglichkeit haben, Stellung zu beziehen.
Regierung macht Druck
Die USB-Bank hat ausgerechnet, dass Volkswagen durch den Produktionsstopp 100 Millionen Euro verliert – pro Woche. Und womöglich erleidet durch den Streit sogar die deutsche Konjunktur einen Dämpfer. „Es kann durchaus sein, dass im dritten Quartal 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte Wachstum fehlen“, sagte der Europa-Chefvolkswirt der Nordea-Bank, Holger Sandte, am Montag gegenüber Reuters. Wie auch der Deutschland-Chefvolkswirt von Uncredit, Andreas Rees, rechnet Sandte mit einer „Delle in der Industrieproduktion“, an der die Autoproduktion ja einen großen Anteil hat. „Dann kommt es darauf an, wie lang der Disput dauert und wie schnell der Produktionsverlust aufgeholt werden kann.“
Dementsprechend machte sich am Montag auch in der Bundesregierung Nervosität breit. Das Wirtschaftsministerium rief VW und Prevent zur Besonnenheit auf: „Wir gehen davon aus und erwarten auch, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen“, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Immerhin gehe es „um Tausende Arbeitsplätze“, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten.
Autoexperten wiederum können die Konzernpolitik von VW nicht nachvollziehen: Sich nur auf einen Zulieferer zu verlassen, sei fahrlässig. Allerdings waren gerade ES Automobilguss (Getriebe) und Car Trim (Sitzbezüge) jahrelang verlässliche Partner. Das Verhältnis verschlechterte sich, als die Prevent-Gruppe vor einem halben Jahr die beiden Autozulieferer aus Sachsen kaufte. Die neuen Eigentümer, die bosnische Familie Hastor, gilt als kämpferisch. Angeblich fühlt sie sich von VW ungerecht behandelt.
Nijaz Hastor, der Gründer von Prevent, war bereits vor dem Jugoslawien-Krieg in einer Fabrik in Sarajevo beschäftigt, die Käfer und Golfs produzierte. Danach nutzte er seine Kontakte, um von Slowenien aus ein Netz von Zulieferfirmen aufzubauen. Heute beschäftigt Prevent laut eigenen Angaben 12.000 Mitarbeiter, die Hälfte in Bosnien.
Streit auch mit Daimler
Und VW ist nicht der einzige deutsche Autokonzern, mit dem man Ärger hat. Beim Landgericht Braunschweig ist auch eine Millionenklage von Prevent gegen Daimler (Mercedes) anhängig. Aus einem ähnlichen Grund: Daimler hat im Jahr 2013 Aufträge gekündigt. Prevent beruft sich auf die bestehenden Verträge und fordert 40 Millionen Euro Schadenersatz.