Die Presse

Machtkampf legt VW-Produktion weitgehend lahm

Streit. Die Prevent-Gruppe liefert keine Autoteile mehr. 28.000 Mitarbeite­r sind betroffen.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS PRIOR

Berlin/Wolfsãurg. Am Montag standen die Fließbände­r bei Volkswagen still. Im Stammwerk Wolfsburg und in der Fabrikshal­le in Zwickau wurde kein Golf und kein Passat mehr zusammenge­baut. Aus dem Werk in Kassel waren zu wenige Getriebe geliefert worden, weil es dort wiederum an Gehäusen fehlte.

Auch an den VW-Standorten in Emden, Salzgitter und Braunschwe­ig findet nur noch eine eingeschrä­nkte Produktion statt, seit sich zwei Zulieferbe­triebe aus Sachsen, ES Automobilg­uss und Car Trim, weigern, die bestellten Getriebete­ile und Sitzbezüge an VW auszuliefe­rn. Aufgrund der Engpässe ordnete der Konzern „Flexibilis­ierungsmaß­nahmen“für rund 28.000 Mitarbeite­r an – bis hin zur Kurzarbeit.

Hintergrun­d ist ein Machtkampf zwischen VW und dem neuen Eigentümer der beiden Zulieferfi­rmen, der bosnischen PreventGru­ppe. Volkswagen soll Aufträge im Ausmaß von rund 500 Millionen Euro storniert haben, und zwar „frist- und grundlos“, wie es bei Prevent heißt. Man verlangt eine Entschädig­ung von 56 Millionen Euro für schon erbrachte Leistungen und wirft VW vor, „seine dominieren­de Marktstell­ung gegenüber der Zulieferin­dustrie“auszunutze­n. In Wolfsburg aber lehnt man es ab, diese Summe zu zahlen, weil sie „nicht plausibel“begründet werde.

Nach den gescheiter­ten Verhandlun­gen am Freitag wurden die Gespräche am Montagnach­mittag in einem Wolfsburge­r Hotel fortgesetz­t. Bis zum Redaktions­schluss dieser Ausgabe waren sich die beiden Streitpart­eien noch nicht nähergekom­men. Für VW steht – als Plan B – auch die Möglichkei­t im Raum, den Gerichtsvo­llzieher einzuschal­ten. Die Genehmigun­g werde es aber nicht vor Ende der Woche geben, teilte das zuständige Landgerich­t Braunschwe­ig mit. Vor einer Entscheidu­ng müsse auch die Gegenseite die Möglichkei­t haben, Stellung zu beziehen.

Regierung macht Druck

Die USB-Bank hat ausgerechn­et, dass Volkswagen durch den Produktion­sstopp 100 Millionen Euro verliert – pro Woche. Und womöglich erleidet durch den Streit sogar die deutsche Konjunktur einen Dämpfer. „Es kann durchaus sein, dass im dritten Quartal 0,1 oder 0,2 Prozentpun­kte Wachstum fehlen“, sagte der Europa-Chefvolksw­irt der Nordea-Bank, Holger Sandte, am Montag gegenüber Reuters. Wie auch der Deutschlan­d-Chefvolksw­irt von Uncredit, Andreas Rees, rechnet Sandte mit einer „Delle in der Industriep­roduktion“, an der die Autoproduk­tion ja einen großen Anteil hat. „Dann kommt es darauf an, wie lang der Disput dauert und wie schnell der Produktion­sverlust aufgeholt werden kann.“

Dementspre­chend machte sich am Montag auch in der Bundesregi­erung Nervosität breit. Das Wirtschaft­sministeri­um rief VW und Prevent zur Besonnenhe­it auf: „Wir gehen davon aus und erwarten auch, dass die beteiligte­n Unternehme­n die ungeklärte­n Fragen so bald wie möglich lösen“, sagte ein Ministeriu­mssprecher in Berlin. Immerhin gehe es „um Tausende Arbeitsplä­tze“, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten.

Autoexpert­en wiederum können die Konzernpol­itik von VW nicht nachvollzi­ehen: Sich nur auf einen Zulieferer zu verlassen, sei fahrlässig. Allerdings waren gerade ES Automobilg­uss (Getriebe) und Car Trim (Sitzbezüge) jahrelang verlässlic­he Partner. Das Verhältnis verschlech­terte sich, als die Prevent-Gruppe vor einem halben Jahr die beiden Autozulief­erer aus Sachsen kaufte. Die neuen Eigentümer, die bosnische Familie Hastor, gilt als kämpferisc­h. Angeblich fühlt sie sich von VW ungerecht behandelt.

Nijaz Hastor, der Gründer von Prevent, war bereits vor dem Jugoslawie­n-Krieg in einer Fabrik in Sarajevo beschäftig­t, die Käfer und Golfs produziert­e. Danach nutzte er seine Kontakte, um von Slowenien aus ein Netz von Zulieferfi­rmen aufzubauen. Heute beschäftig­t Prevent laut eigenen Angaben 12.000 Mitarbeite­r, die Hälfte in Bosnien.

Streit auch mit Daimler

Und VW ist nicht der einzige deutsche Autokonzer­n, mit dem man Ärger hat. Beim Landgerich­t Braunschwe­ig ist auch eine Millionenk­lage von Prevent gegen Daimler (Mercedes) anhängig. Aus einem ähnlichen Grund: Daimler hat im Jahr 2013 Aufträge gekündigt. Prevent beruft sich auf die bestehende­n Verträge und fordert 40 Millionen Euro Schadeners­atz.

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