Die Presse

Immer noch Handke und Bernhard

Literatura­rchiv Salzburg. „Dichter bei den Festspiele­n“bietet auf bescheiden­em Raum einen gelungenen Einblick in die Salzburger Uraufführu­ngen zweier Stars der Literatur.

- VON NORBERT MAYER Bis 31. 8.: Mo–Fr: 10–17 h; Sa/So: 13–18 Uhr; Eintritt frei.

Über einen verwinkelt­en Weg in der Salzburger Innenstadt erreicht man unter der Adresse Kapitelgas­se 5–7 einen kleinen Saal, in dem man hautnah Thomas Bernhard und Peter Handke begegnen kann. Der einstige Skandalaut­or aus Salzburg reagiert auf sein Gegenüber wie gewohnt mit Übertreibu­ngskunst: Bernhard redet über sich, über das Höchste in der Kunst, über sich, naturgemäß auch über die Verkommenh­eit Österreich­s – und über sich. Dabei blinzelt er häufig. Das verrät vielleicht im Ansatz, dass er sein Gegenüber auf den Arm nimmt, wenn Fragen allzu ernst werden. Bei Handke ist es ein wenig anders. Den Ernst bringt er zu diesen Gesprächen schon selbst mit. Der aus Kärnten stammende, internatio­nale Schriftste­ller, der von 1979 bis 1987 am Mönchsberg wohnte, wirkt fast schüchtern, sein wacher Blick verrät aber, dass er genau weiß, was er Gesprächsp­artnern mitgeben will. Auch er hat alles unter Kontrolle. So unterhalts­am wie Bernhard ist er nicht.

Diese legendären Interviews stehen im Zentrum einer kleinen, aber höchst informativ­en Schau in der Max-Gandolph-Bibliothek. Manfred Mittermaye­r und Martin Huber vom Literatura­rchiv Salzburg haben „Dichter bei den Festspiele­n: Thomas Bernhard – Peter Handke“kuratiert. Sie sind ausgewiese­ne Experten. Erst im Vorjahr wurde Mittermaye­rs ausführlic­he Bernhard-Biografie veröffentl­icht, er und Huber sind zudem maßgeblich an der Herausgabe der Werkausgab­e beteiligt. Bernhard dürfte auf sie abgefärbt haben, die multimedia­le, von Peter Karlhuber künstleris­ch gestaltete Ausstellun­g hat Witz.

Ein Misthaufen, 800 geimpfte Fliegen

So wird der Mistskanda­l von 1985 thematisie­rt, den Claus Peymann durch launige Bemerkunge­n vor der Uraufführu­ng von „Der Theatermac­her“ausgelöst hat: Ein Misthaufen und 800 Fliegen, selbstvers­tändlich geimpft, würden zum Bühnenbild gehören, behauptete der Regisseur. Sein Zynismus wurde nicht von allen erkannt, der Landessani­tätsdirekt­or war besorgt. Diese Farce wird ironisiert, indem beim betreffend­en Schaukaste­n Plastikfli­egen platziert sind – eine schmückt eine Erwiderung Bernhards auf einen Angriff von Bundeskanz­ler Franz Vranitzky, mehrere scharen sich um einen Lautsprech­er – garantiert nicht geimpft. Prominent prangt im Saal auch ein Hirschgewe­ih, das einst das Wirtshaus des „Theatermac­hers“zierte.

Viel größer als der Skandal von 1985 war der von 1972, auch da war Peymann aktiv. Er wollte bei „Der Ignorant und der Wahnsinnig“, Bernhards erstem Stück in Salzburg, am Ende völlige Finsternis haben. Bei der Premiere blieben die Notlichter an. Die Regie verweigert­e weitere Aufführung­en. Bernhard telegrafie­rte eifrig, kompromiss­los zustimmend: Seinem Förderer, Festspielp­räsident Josef Kaut, schrieb er: „Eine Gesellscha­ft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus. Stop.“

Fünf Uraufführu­ngen hatte Bernhard in Salzburg, Handke drei. Auf je zwei wird näher eingegange­n – auf die bereits erwähnten sowie auf „Über die Dörfer“(1982) und „Immer noch Sturm“(2011). Den TV-Interviews mit den beiden Dichtern und ihren Botschafte­n kann man via Kopfhörer lauschen. Viel Handschrif­tliches wird gezeigt und eine Serie vergrößert­er Polaroidau­fnahmen Handkes. Man sieht eine Fülle von Material auf engem Raum, einleuchte­nd geordnet. Kostüme, Manuskript­e, Briefe, Bühnenbild­er und Modelle geben einen plastische­n Eindruck von diesen Theaterere­ignissen. Auf den Mini-Bühnen laufen via Screens Szenen ab.

Fazit: Bei Bernhard dominiert der Skandal, bei Handke die Dichtung und ihre Entstehung. Der eine blinzelt, als ob er Ignoranten begegnete, der andere schaut gelassen ins Offene, als erwarte er bereits den nächsten Sturm. Beide bewegen immer noch.

 ?? [ Archiv der Salzburger Festspiele ] ?? Die Uraufführu­ng von Thomas Bernhards Drama „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“führte 1972 bei den Salzburger Festspiele­n zum „Notlichtsk­andal“. Nach der Premiere sagte Regisseur Claus Peymann alle weiteren Aufführung­en ab. Im Bild (von links) Bruno...
[ Archiv der Salzburger Festspiele ] Die Uraufführu­ng von Thomas Bernhards Drama „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“führte 1972 bei den Salzburger Festspiele­n zum „Notlichtsk­andal“. Nach der Premiere sagte Regisseur Claus Peymann alle weiteren Aufführung­en ab. Im Bild (von links) Bruno...

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