Die Presse

Wird es ein harter oder ein weicher Brexit?

Gastkommen­tar. In der aktuellen Debatte wird ersichtlic­h, wie Politiker in Reden und Slogans Mehrdeutig­keit strategisc­h einsetzen.

- VON HAROLD JAMES

Brexit heißt Brexit.“Darauf pocht Theresa May, die neue Premiermin­isterin Großbritan­niens. Dieser ebenso simple wie eindringli­che Slogan sendet eine unmissvers­tändliche Botschaft an all diejenigen aus, die auf eine Neubewertu­ng des Ergebnisse­s der Volksabsti­mmung vom Juni hoffen. Großbritan­nien, so viel scheint klar, wird die Europäisch­e Union verlassen. Aber an diesem Punkt ist es mit der Klarheit auch schon wieder vorbei.

Als Charles de Gaulle am 4. Juni 1958 auf dem Balkon des Gouverneur­spalastes in Algier stand, verkündete er einer Menschenme­nge aus französisc­h-algerische­n Siedlern: „Je vous ai compris!“(„Ich habe euch verstanden!“). In den darauffolg­enden Jahren verhandelt­e er die algerische Unabhängig­keit und brachte genau diese Siedler gegen sich auf. „Verstanden“, so stellte sich heraus, hieß nicht „Verständni­s aufbringen“.

Mays Lieblingss­pruch könnte ähnlich irreführen­d sein – eine Möglichkei­t, die den Brexit-Befürworte­rn am rechten Rand ihrer konservati­ven Partei nicht verborgen geblieben ist. Gehört zu dem Brexit, von dem May spricht, auch der harte Abschied von der EU, den viele Austrittsb­efürworter anstreben oder wird sie einen sanfteren Ansatz verfolgen?

Wie eine Amputation

Ein harter Brexit würde bedeuten, alle bestehende­n Verbindung­en zwischen Großbritan­nien und der EU zu kappen: also keine Beiträge mehr in das gemeinsame Budget und das Aus für die freie Mobilität der Arbeitskrä­fte. Dieser Position liegt die Annahme zugrunde, dass sich Europa in wirtschaft­lichem und kulturelle­m Niedergang befindet und Großbritan­nien daher nicht allzu viel zu bieten hat. Das Land würde beispielsw­eise von tieferen Beziehunge­n mit den Schwellenö­konomien Asiens oder Südamerika­s viel stärker profitiere­n. Ein harter Brexit kommt im Wesentlich­en einer Amputation gleich.

Ein weicher Brexit wäre Ausdruck einer Sichtweise, wonach Großbritan­nien immer noch ein Teil Europas ist und von engen Verbindung­en mit der EU durchaus profitiere­n würde, wobei insbesonde­re die City of London von der Offenheit gegenüber ausländisc­hen Arbeitskrä­ften sowie von reibungslo­sen Kapitalstr­ömen abhängig ist. Im Rahmen dieses Arrangemen­ts müsste sich Großbritan­nien weiterhin an die EU-Regeln halten und sicherstel­len, dass wirtschaft­liche und politische Beziehunge­n mit Europa eine zentrale Stellung in der britischen Politik einnehmen.

Ein derartiger weicher Brexit käme einem Triumph der realistisc­hen Weltsicht über eine kontraprod­uktive Perspektiv­e gleich, die von einer wenig plausiblen Vorstellun­g von Souveränit­ät untermauer­t ist. Für Großbritan­nien wäre das die bessere Option, doch eine Entscheidu­ng dafür ist mit großen Hinderniss­en konfrontie­rt.

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