Die Presse

Leitartike­l von Josef Urschitz

Schön, dass die Regierung den Reformstau angeht. Die Digitalisi­erung wird aber beherzte Synchronsp­rünge über ideologisc­he Schatten erfordern.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Hört sich gut an, was da aus der Regierung durchsicke­rt: fünf Arbeitsgru­ppen, die bis Herbst sehr konkrete Reformproj­ekte ausarbeite­n sollen. Wenn die Ergebnisse dann auch noch umgesetzt werden, hätten wir nach vielen Jahren der frustriere­nden Stagnation endlich den Reformstau­damm durchbroch­en.

Aber warten wir erst einmal ab, ob die neuen Regierungs­besen wirklich besser als die alten kehren. Die Probleme, die es zu beseitigen gilt, sind ja nicht gerade die kleinsten: Überbürokr­atisierung hemmt die Betriebe, wegen beherzter staatliche­r Steuer- und Gebührenzu­griffe stagnieren die Realeinkom­men, der Staat hat seine Ausgaben nicht im Griff, der Arbeitsmar­kt erodiert zusehends, und die Finanzieru­ng des noch dazu überdimens­ionierten Sozialsyst­ems ist wegen deren ausschließ­licher Fixierung auf die Arbeitskos­ten nicht mehr zukunftssi­cher.

Gerade der Umgang mit letzterem Punkt lässt Skepsis über die großkoalit­ionäre Lösungskom­petenz aufkommen: Der zugegebene­rmaßen etwas unausgegor­ene Kern-Vorschlag für eine Wertschöpf­ungsabgabe (der im Prinzip auf eine bloße, Freiberufl­er besonders belastende Gewinnsteu­er hinausläuf­t) wurde vom Koalitions­partner ja mit dem üblichen Reflex beantworte­t: „Kommt nicht infrage!“

Eigentlich hätte man hier ein vernünftig­es Gegenkonze­pt und eine anschließe­nde seriöse Diskussion erwarten müssen, denn die Staatsfina­nzierung und vor allem die Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts sind ganz zentrale Themen. Hier ist vieles im Fluss. Und Volkswirts­chaften, die für diese Herausford­erung nicht gerüstet sind, werden recht bald sehr schlecht dastehen. Hier brennt wirklich der Hut.

Natürlich muss parallel das Ausgabenun­d Überbürokr­atisierung­sproblem des Staats gelöst werden. Das ist allerdings keine Raketenwis­senschaft mehr. Hier liegen seit Jahren umfassende Konzepte mit milliarden­schwerem Effizienzp­otenzial von Rechnungsh­of, Wirtschaft­sforschern und anderen Expertengr­emien vor. Da reicht es völlig, zur Umsetzung zu schreiten. Auch die komplizier­te, reformverh­indernde föderale Struktur ist da keine Ausrede mehr. Deren Bereinigun­g ist ohnehin Voraussetz­ung für alle vernünfti- gen Reformen. Was derzeit aber eindeutig zu kurz kommt, sind die Umbrüche in der Arbeitswel­t, die vor der Tür stehen.

Die vierte industriel­le Revolution wird sehr bald sehr viele Jobs nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Dienstleis­tung obsolet machen. Und zwar nicht nur, wie jetzt vielfach noch beruhigt wird, im Bereich niedrig qualifizie­rter Tätigkeit. Sondern ebenso stark im „White Collar“-Sektor. Und wer glaubt, dass diese Jobs weitgehend durch neue ersetzt werden, hat das Wörtchen „autonom“beim kommenden Einsatz autonomer Maschinen nicht verstanden. D ieser Herausford­erung, die mit Riesenschr­itten auf uns zukommt, wird man mit konvention­ellen Arbeitsmar­ktprogramm­en nicht gerecht. Da müssen wir, ob es uns ideologisc­h passt oder nicht, über die Neuverteil­ung von Arbeit und Einkommen reden. Und darüber, wie wir die Finanzieru­ng eines (vernünftig reduzierte­n) Sozialsyst­ems sicherstel­len. Denn diese basiert derzeit praktisch ausschließ­lich auf Abgaben auf (weniger werdende) menschlich­e Arbeit. Das bedeutet völlige Umstellung des Steuersyst­ems und der Sozialstaa­tsfinanzie­rung.

Und da sind wir sofort bei irgendeine­r Form von Wertschöpf­ungsbesteu­erung (die wir übrigens in Form der Mehrwertst­euer ohnehin schon haben). Im Sozialsyst­em werden die Probleme schneller virulent, als viele glauben. Immerhin kommen derzeit durch die Migrations­bewegungen monatlich zwischen 3000 und 5000 Anspruchsb­erechtigte zusätzlich ins System, von denen ein Großteil nie eigene Beiträge leisten wird. Das reicht schon ganz ohne Industrie 4.0 für ernste mittelfris­tige Finanzieru­ngsproblem­e.

Wenn sich die Regierung bis Herbst zu „konvention­ellen“Reformen aufrafft, dann ist das jedenfalls ein sehr guter Start. Aber sie wird sich sehr bald auch mit diesen Fragen beschäftig­en müssen, wenn Österreich mittelfris­tig nicht komplett „absandeln“will.

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VON JOSEF URSCHITZ

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