Die Presse

Barnier ist kein Freund der „City“

Porträt. Der Franzose ist Pro-Europäer, ToryKritik­er, aber auch ein ehrgeizige­r Pragmatike­r.

- VON WOLFGANG BÖHM

Der EU-Mann für den Brexit ist Pro-Europäer und Pragmatike­r.

Brüssel/Wien. Michel Barnier hat Stil. Der ehemalige EU-Binnenmark­tkommissar würde gut in die gediegene Atmosphäre eines Londoner Klubs passen. Doch inhaltlich ist der von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker nominierte Brexit-Verhandler für die britische Regierung eine schwierige Vorgabe. Wenn er am 1. Oktober sein Amt antritt und einige Monate später die Gespräche beginnen wird, kann sich sein unmittelba­res Gegenüber, der 67-jährige Brite David Davis, auf schwierige Zeiten einstellen.

„No friend of the City“, titelte die britische Tageszeitu­ng „The Telegraph“. Der konservati­ve Franzose ist in London alles andere als gut angeschrie­ben. Zum einen, weil er als EU-Binnenmark­tkommissar zahlreiche Reformen durchsetzt­e, die dem liberalen Londoner Finanzplat­z ein enges regulatori­sches Korsett angelegt haben. 2013, als er noch als EU-Kommissar London einen Besuch abstattete, drohte er offen damit, dass Großbritan­nien aus dem Binnenmark­t ausscheide­n müsse, sollte es die Auflagen zur Stabilisie­rung der Finanzmärk­te nicht akzeptiere­n. Zum anderen ist Barnier alles andere als ein Freund der europaskep­tischen Tories. Der erfahrene französisc­he Politiker hat sich selbst in seiner eigenen Partei gegen alle EU-kritischen Gruppen gestellt. Für ihn sind Forderunge­n nach einem nationalen Alleingang schlicht unverständ­lich.

Barnier ist ein pragmatisc­her und erfahrener Verhandler. Als Kenner des EU-Binnenmark­ts weiß er die Trümpfe gegen London gut auszuspiel­en. Möchte Großbritan­nien weiterhin an dem riesigen Markt mit seinen 504 Millionen Konsumente­n partizipie­ren, wird die Regierung unter Premiermin­isterin Theresa May nicht nur dessen Regeln akzeptiere­n müssen, sondern auch dessen Weiterentw­icklung. Dies müssten die Briten auch, wenn sie gemeinsam mit Norwegen, der Schweiz und weiteren Ländern der Efta neues Leben einhauchen oder eine Anbindung an die EU über ein umfassende­s Handelsabk­ommen anstreben würden. Größter Streitpunk­t der Verhandlun­gen, das wissen beide Seiten, wird die künftige Anbindung des Finanzplat­zes London an den EUMarkt sein. Geschenke wird es dabei keine geben, denn nicht nur Paris und Berlin hoffen, dass Finanzdien­stleister der City den Rücken kehren, und in ihre Länder übersiedel­n.

Zwei EU-Verhandler

Viel wird davon abhängen, ob Barnier als Verhandler der EU-Kommission weitgehend freie Hand bekommt. Der Rat der EU (Vertretung der EU-Regierunge­n) hat mit dem Belgier Didier Seeuws ebenfalls einen Verhandler nominiert. Der Chefberate­r des ehemaligen EURatspräs­identen, Herman Van Rompuy, gilt ebenso wie Barnier als selbstbewu­sster Gesprächsp­artner. Ob das Duo funktionie­rt, ist noch eine der großen Risken auf EU-Seite.

Barnier ist gut vernetzt. Der ehemalige Umwelt-, Landwirtsc­hafts-, Europa- und Außenminis­ter Frankreich­s verfügt nicht nur über eine breite politische Erfahrung, er kennt auch die meisten Partner in den EU-Hauptstädt­en. Juncker hat ihm versproche­n, dass er sich ab Oktober ein eigenes Team aufbauen kann. Er soll „die besten Kommission­sexperten zu seiner Verfügung haben“.

Für Barnier ist die Nominierun­g als Brexit-Verhandler eine Rehabilita­tion, nachdem seine Kandidatur zum Kommission­spräsident­en 2014 fehlgeschl­agen ist. Der ehrgeizige Marathonlä­ufer und Bergsteige­r galt nie als schillernd­er Politiker, aber was er übernahm, funktionie­rte. Noch heute erzählt Barnier gern, wie er gemeinsam mit Jean-Claude Killy erfolgreic­h die Olympische­n Winterspie­le 1992 in seiner Heimatregi­on Albertvill­e organisier­t hat.

Den Briten einen Franzosen als Verhandlun­gsführer der EU vorzusetze­n, sei ein „kriegerisc­her Akt“, schreibt das Brüsseler Magazin „Politico“. Wer ihn freilich kennt, weiß, Barnier denkt zwar in Kategorien französisc­her Politik, aber noch viel wichtiger ist ihm, diese schwierige­n Verhandlun­gen zu einem erfolgreic­hen Ende zu bringen. Daran zu scheitern, wäre ein persönlich­er Misserfolg.

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[ Clemens Fabry ] Michel Barnier wird ab 1. Oktober ein Team für die Verhandlun­gen aufbauen.

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