Die Presse

Wieso Italien in ferner Zukunft zerfallen wird

Geologie. Italien war stets eine der erdbebenge­fährdetste­n Zonen Europas. Das wird künftig auch sein Ende bedeuten.

- VON WOLFGANG GREBER

Jenes Beben, das Mittwochfr­üh die Berge, Täler und Orte Mittelital­iens im Dreiländer­eck der Regionen Umbrien, Marken und Latium erschütter­te, mit einer Magnitude von 6,2 um drei Uhr, 36 Minuten und 33 Sekunden in unmittelba­rer Nähe des 30-Seelen-Weilers Nottoria (955 Meter Seehöhe), war nur eines in einer seit Äonen anhaltende­n Kette: Italien ist, neben dem Süden Griechenla­nds, nämlich so ziemlich die tektonisch aktivste Region Europas.

Das bemerkten, und gewiss nicht als Erste, die Römer, etwa, als der Ausbruch des Vesuvs am 24. August 79 die Siedlungen Pompeji, Herculaneu­m, Stabiae und Oplontis beim heutigen Neapel zerstörte. Oft wurde der Stiefel im Lauf der Jahrhunder­te von größeren und kleineren Beben getroffen. Das Epizentrum des jetzigen, das unter anderem bis Rom, Ravenna und Kroatiens Küste zu spüren war, befand sich übrigens zehn Kilometer südöstlich von Norcia (Nursia), wo 480 der heilige Benedikt geboren wurde. Das Kloster Montecassi­no, das er gegen 530 zwischen Rom und Neapel gründete, wurde 1349 durch ein Beben zerstört und bekam erst durch den Wiederaufb­au sein stattliche­s Aussehen. Extrem war jenes Beben samt Tsunami, das 1908 Messina (Sizilien) sowie Kalabrien heimsuchte: 75.000 bis 110.000, vielleicht gar bis zu 200.000 Menschen starben.

Das jetzige Beben, dem bis Mittwochna­chmittag neun Nachbeben folgten, war laut US Geological Service Folge einer oberflächl­ichen (Hypozentru­m in nur zehn Kilometern Tiefe) vertikalen Bewegung (von oben nach unten und vice versa) einer geologisch­en Störzone, in der zwei Blöcke der Erdkruste wie Mauern aneinander­reibend den Apennin von Nordwesten nach Südosten durchziehe­n. Und es ist nicht die einzige Störzone, im Grund kann man geologisch ganz Italien und sein enges Umfeld als Störzone sehen.

Der große Krach der Platten

Dahinter steckt großräumig gesehen, dass im Mittelmeer die große Afrikanisc­he Kontinenta­lplatte horizontal von Süden auf die noch größere Eurasische Platte trifft. Afrika schiebt sich ein bis zwei Zentimeter pro Jahr nach Norden, das tut es seit mindestens 100 Millionen Jahren, im Zuge dessen falteten sich die Alpen auf, das begann vor 50 bis 35 Millionen Jahren. Sie wachsen noch heute bis zu zwei Millimeter im Jahr.

Zoomt man etwas näher, zeigt sich, dass zwischen den Kontinenta­lplatten kleine Mikroplatt­en wie Splitter eingebette­t sind: die Anatolisch­e, Ägäische und Apulische Platte. Letztere formt Italien, die Adria, Teile Siziliens und des nahen Umlands der Süd- und Ostalpen bis Kroatien und Slowenien.

Nun wird’s schwierig: Die Apulische Platte soll sich nämlich schon vor der Zeit, als Afrika und Europa kollidiert­en, aus vorgelager­ten Fragmenten der zwei Großplatte­n gebildet haben, wobei diese Stücke, als sie sich „vermählten“, ungünstige­rweise gegenläufi­g rotierten. Dann presste Afrika das neue Paar, seine nördliche Hälfte heißt Adriatisch­e Platte, nach Europa hinein, und zwar so, dass es sich teils über, teils unter Europa schob.

Italien zerfällt

Ergebnis ist, simpel gesagt, dass die Apulische Platte von überall her gequetscht wird, längs ihrer Mitte der Apennin hochfuhr und das Gestein bis in den flüssigen Erdmantel in sich fragmentie­rte. Aus Rissen strömt Magma herauf in unterirdis­che Kammern und letztlich in Vulkane wie den Vesuv, Ätna und Stromboli, es erklärt auch zahlreiche heiße Quellen.

Anhand von GPS-Daten hat man errechnet, dass es Italien in ferner Zukunft nicht mehr geben wird. Das zersplitte­rnde Gebilde wird nämlich auch in verschiede­ne Richtungen auseinande­rgezogen, Süditalien etwa gen Balkan, Mittelital­ien nach Norden und Osten, Teile des Nordens just nach Südwesten. Italien zerfällt. Aber das dauert noch.

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[ Reuters ] Helfer ziehen einen Überlebend­en aus den Trümmern eines zerstörten Gebäudes in Amatrice.

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