Türkische Panzer rollen in Syrien ein
„Euphrates Shield.“ Die Türkei begann eine Militäroffensive in Nordsyrien. Sie gilt dem IS – und Kurden.
Dichte Rauchschwaden stiegen in den Himmel über den Hügeln um Jarablus. Artillerie und Panzer schossen nonstop, Kampfflugzeuge warfen Bomben ab. Am Mittwoch, um 1.00 Uhr nachts, startete die Türkei ihre Offensive auf die syrische Grenzstadt in der Hand des Islamischen Staates (IS). Mit Luftangriffen zunächst, unterstützt auch von den USA. 200 Geschosse regneten auf Stellungen der Terrormiliz nieder. Bei Tagesanbruch drangen dann türkische Spezialeinheiten unter dem Schutz von Panzern auf syrisches Territorium vor. Die Regierung in Damaskus verurteilte die türkische Invasion scharf als offenen Verstoß gegen die Souveränität Syriens.
Die Türkei macht schneller Ernst, als viele Beobachter wohl gedacht hatten. Denn erst am vergangenen Wochenende hatte der türkische Premierminister, Binali Yildirim, einer handverlesenen Schar von Journalisten in Istanbul angekündigt, die Türkei werde „in den nächsten sechs Monaten aktiver in Syrien eingreifen“. Und keine vier Tage danach rollte die Armee schon nach Syrien ein. Die Türkei hat es eilig, ihr ramponiertes außenpolitisches Image wieder aufzupolieren.
So schnell will Präsident Erdogan˘ vollendete Tatsachen schaffen. Denn auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) wollen Jarablus erobern, und das soll unbedingt verhindert werden. Denn in diesem ethnisch übergreifenden Militärbündnis stellt die Kurdenmiliz YPG, neben Assyrern, Turkmenen und Arabern, den Hauptteil der Kämpfer. Ziel der Türkei ist es, die Kurden zurückzudrängen.
„Türkei im syrischen Sumpf“
Für Ankara ist die YPG eine „Bande von Terroristen“. Im Laufe der vergangenen zwölf Monate hatte die Türkei den militärischen Erfolgen dieser „Terroristen“im Norden Syriens machtlos zusehen müssen. Das soll sich nun ändern. Die türkische Armee nutzte gleich zu Beginn die Gelegenheit, parallel zum Artilleriebeschuss auf Jarabalus auch Stellungen der SDF in Manbij unter Feuer zu nehmen. Aus dieser knapp 40 Kilometer entfernten Stadt war erst vor zwei Wochen der IS vertrieben worden. „Die Türkei ist im syrischen Sumpf“, twittert der Ko-Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim. Sie werde besiegt werden wie der IS.
Am Mittwoch kam US-Vizepräsident Joe Biden auf einen offiziellen Staatsbesuch zu Gesprächen nach Ankara. Eigentlich sollte man meinen, das sei kein guter Zeitpunkt, Verbündete der USA anzu- greifen. Die SDF sind mittlerweile ein enger Partner Amerikas. Nur die Luftunterstützung des Pentagon und die Entsendung einiger Hundert Militärberater haben die großen territorialen Gewinne der Allianz in Nordsyrien möglich gemacht. Bis zu 20.000 Quadratkilometer sollen dem IS abgenommen worden sein. Aber es scheint Absprachen zwischen Ankara und Washington gegeben zu haben. Denn US-Kampfflugzeuge unterstützen die türkische Offensive bei Jarablus und bombardieren IS-Stellungen in der Grenzstadt.
Ausgleich mit Moskau und Iran
Von Tag zu Tag scheint die SyrienPolitik verworrener zu werden. Die Türkei hat selbst vor wenigen Tagen für Furore gesorgt, als sie ihre neuen außenpolitischen Richtlinien bekannt gab. Ankara kooperiert nun mit Russland und dem Iran. Es sind die beiden Hauptverbündeten des syrischen Regimes, die in der Türkei noch vor wenigen Monaten als „Schlächter des syrischen Volkes“galten. Selbst Bashar al-Assad darf jetzt Interimspräsident werden. Früher war das undenkbar, eine rote Linie der Türkei, über die es keine Diskussionen geben sollte. Im syrischen Bürgerkrieg scheinen alle nur erdenklichen Kapriolen möglich zu sein.
Hinter dem rasanten Gesinnungswechsel steht, wie gemeinhin üblich in der internationalen Politik, ein Interessenausgleich. Russland, der Iran und die Türkei legten den „Kampf gegen Terrorismus“als Basis ihrer neuen Zusammenarbeit fest. Wer oder was unter Terrorismus zu verstehen ist, scheint jeder selbst definieren zu können. In Jarablus hat die Türkei nun ihren Terrorkampf begonnen. Die Armee geht gegen den IS vor, aber das wichtigere Ziel scheint die SDF zu sein, die „Tarnorganisation“der Kurdenmiliz YPG.
Gegenüber von Jarablus, direkt auf der türkischen Seite, liegt der Ort Karakamis. Seit über einer Woche sammeln sich dort syrische Rebellengruppen. Sie wurden über geheime Grenzübergänge in die Türkei geschleust und dort in Kasernen untergebracht. Insgesamt sollen es rund 1500 Kämpfer sein, die sich an der Bodenoffensive in Jarablus beteiligen sollen. Dazu werden sie von der türkischen Armee ausreichend bewaffnet. Mit der Beteiligung von syrischen Gruppen will die Türkei wohl den Eindruck einer ausländischen Invasion verhindern.
Allianz mit Radikalen
Es sind die gleichen Rebelleneinheiten, die die Türkei seit Jahren in Syrien unterstützte. Es sind bekannte Namen: Failaq al Sham, Sultan Murad, Jabha al Shamiya und auch Ahrar al-Sham, die angekündigt haben, sehr bald schon mit der Armee der Eroberer in der Levante eine einzige Organisation zu bilden. Die Armee der Eroberer hieß vor einem Monat noch Jabhat al-Nusra und war der offizielle Ableger al-Qaidas in Syrien. Von einer Allianz der Türkei mit moderaten Rebellen kann nicht gesprochen werden.
Aber auch diesmal soll der Zweck die Mittel heiligen. Die Türkei will in Syrien unbedingt Fuß fassen und ein Gegengewicht gegen die Kurden schaffen. Milizen der YPG an der türkischen Grenze stuft Ankara als Sicherheitsrisiko ein.