Die Presse

Türkische Panzer rollen in Syrien ein

„Euphrates Shield.“ Die Türkei begann eine Militäroff­ensive in Nordsyrien. Sie gilt dem IS – und Kurden.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER

Dichte Rauchschwa­den stiegen in den Himmel über den Hügeln um Jarablus. Artillerie und Panzer schossen nonstop, Kampfflugz­euge warfen Bomben ab. Am Mittwoch, um 1.00 Uhr nachts, startete die Türkei ihre Offensive auf die syrische Grenzstadt in der Hand des Islamische­n Staates (IS). Mit Luftangrif­fen zunächst, unterstütz­t auch von den USA. 200 Geschosse regneten auf Stellungen der Terrormili­z nieder. Bei Tagesanbru­ch drangen dann türkische Spezialein­heiten unter dem Schutz von Panzern auf syrisches Territoriu­m vor. Die Regierung in Damaskus verurteilt­e die türkische Invasion scharf als offenen Verstoß gegen die Souveränit­ät Syriens.

Die Türkei macht schneller Ernst, als viele Beobachter wohl gedacht hatten. Denn erst am vergangene­n Wochenende hatte der türkische Premiermin­ister, Binali Yildirim, einer handverles­enen Schar von Journalist­en in Istanbul angekündig­t, die Türkei werde „in den nächsten sechs Monaten aktiver in Syrien eingreifen“. Und keine vier Tage danach rollte die Armee schon nach Syrien ein. Die Türkei hat es eilig, ihr ramponiert­es außenpolit­isches Image wieder aufzupolie­ren.

So schnell will Präsident Erdogan˘ vollendete Tatsachen schaffen. Denn auch die Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) wollen Jarablus erobern, und das soll unbedingt verhindert werden. Denn in diesem ethnisch übergreife­nden Militärbün­dnis stellt die Kurdenmili­z YPG, neben Assyrern, Turkmenen und Arabern, den Hauptteil der Kämpfer. Ziel der Türkei ist es, die Kurden zurückzudr­ängen.

„Türkei im syrischen Sumpf“

Für Ankara ist die YPG eine „Bande von Terroriste­n“. Im Laufe der vergangene­n zwölf Monate hatte die Türkei den militärisc­hen Erfolgen dieser „Terroriste­n“im Norden Syriens machtlos zusehen müssen. Das soll sich nun ändern. Die türkische Armee nutzte gleich zu Beginn die Gelegenhei­t, parallel zum Artillerie­beschuss auf Jarabalus auch Stellungen der SDF in Manbij unter Feuer zu nehmen. Aus dieser knapp 40 Kilometer entfernten Stadt war erst vor zwei Wochen der IS vertrieben worden. „Die Türkei ist im syrischen Sumpf“, twittert der Ko-Vorsitzend­e der syrischen Kurdenpart­ei PYD, Salih Muslim. Sie werde besiegt werden wie der IS.

Am Mittwoch kam US-Vizepräsid­ent Joe Biden auf einen offizielle­n Staatsbesu­ch zu Gesprächen nach Ankara. Eigentlich sollte man meinen, das sei kein guter Zeitpunkt, Verbündete der USA anzu- greifen. Die SDF sind mittlerwei­le ein enger Partner Amerikas. Nur die Luftunters­tützung des Pentagon und die Entsendung einiger Hundert Militärber­ater haben die großen territoria­len Gewinne der Allianz in Nordsyrien möglich gemacht. Bis zu 20.000 Quadratkil­ometer sollen dem IS abgenommen worden sein. Aber es scheint Absprachen zwischen Ankara und Washington gegeben zu haben. Denn US-Kampfflugz­euge unterstütz­en die türkische Offensive bei Jarablus und bombardier­en IS-Stellungen in der Grenzstadt.

Ausgleich mit Moskau und Iran

Von Tag zu Tag scheint die SyrienPoli­tik verworrene­r zu werden. Die Türkei hat selbst vor wenigen Tagen für Furore gesorgt, als sie ihre neuen außenpolit­ischen Richtlinie­n bekannt gab. Ankara kooperiert nun mit Russland und dem Iran. Es sind die beiden Hauptverbü­ndeten des syrischen Regimes, die in der Türkei noch vor wenigen Monaten als „Schlächter des syrischen Volkes“galten. Selbst Bashar al-Assad darf jetzt Interimspr­äsident werden. Früher war das undenkbar, eine rote Linie der Türkei, über die es keine Diskussion­en geben sollte. Im syrischen Bürgerkrie­g scheinen alle nur erdenklich­en Kapriolen möglich zu sein.

Hinter dem rasanten Gesinnungs­wechsel steht, wie gemeinhin üblich in der internatio­nalen Politik, ein Interessen­ausgleich. Russland, der Iran und die Türkei legten den „Kampf gegen Terrorismu­s“als Basis ihrer neuen Zusammenar­beit fest. Wer oder was unter Terrorismu­s zu verstehen ist, scheint jeder selbst definieren zu können. In Jarablus hat die Türkei nun ihren Terrorkamp­f begonnen. Die Armee geht gegen den IS vor, aber das wichtigere Ziel scheint die SDF zu sein, die „Tarnorgani­sation“der Kurdenmili­z YPG.

Gegenüber von Jarablus, direkt auf der türkischen Seite, liegt der Ort Karakamis. Seit über einer Woche sammeln sich dort syrische Rebellengr­uppen. Sie wurden über geheime Grenzüberg­änge in die Türkei geschleust und dort in Kasernen untergebra­cht. Insgesamt sollen es rund 1500 Kämpfer sein, die sich an der Bodenoffen­sive in Jarablus beteiligen sollen. Dazu werden sie von der türkischen Armee ausreichen­d bewaffnet. Mit der Beteiligun­g von syrischen Gruppen will die Türkei wohl den Eindruck einer ausländisc­hen Invasion verhindern.

Allianz mit Radikalen

Es sind die gleichen Rebellenei­nheiten, die die Türkei seit Jahren in Syrien unterstütz­te. Es sind bekannte Namen: Failaq al Sham, Sultan Murad, Jabha al Shamiya und auch Ahrar al-Sham, die angekündig­t haben, sehr bald schon mit der Armee der Eroberer in der Levante eine einzige Organisati­on zu bilden. Die Armee der Eroberer hieß vor einem Monat noch Jabhat al-Nusra und war der offizielle Ableger al-Qaidas in Syrien. Von einer Allianz der Türkei mit moderaten Rebellen kann nicht gesprochen werden.

Aber auch diesmal soll der Zweck die Mittel heiligen. Die Türkei will in Syrien unbedingt Fuß fassen und ein Gegengewic­ht gegen die Kurden schaffen. Milizen der YPG an der türkischen Grenze stuft Ankara als Sicherheit­srisiko ein.

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[ Reuters ] Erst am vergangene­n Wochenende hat der türkische Premier, Binali Yildirim, angekündig­t, aktiver in Syrien einzugreif­en. Nun macht Ankara schneller Ernst als erwartet.
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