Vorbesprechung bei Starbucks
Großbritannien. Zwei Monate nach dem Brexit-Votum hat London noch immer kein Verhandlungsteam und keinen Zeitplan. Das könnte sich rächen.
London. Im Glanz der erfolgreichsten Olympischen Spiele aller Zeiten ist die Politik in Großbritannien in diesen Tagen noch weiter in den Hintergrund getreten, als sonst im Urlaubsmonat August üblich. Doch es gäbe viel zu tun. Vor zwei Monaten entschied das Land, aus der EU auszutreten, und dieser Volksentscheid wird umzusetzen sein.
Premierministerin Theresa May spielte bisher auf Zeit. Sie will Artikel 50 des EU-Vertrags für den Beginn von Austrittsverhandlungen „nicht vor 2017“abrufen. Eine Denkschule in London meint, März kommenden Jahres könnte ein idealer Zeitpunkt sein. Andere streuen Gerüchte, dass man damit sogar bis nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland warten könnte.
Die harten EU-Gegner wollen ein derart langes Zuwarten keinesfalls akzeptieren. „Wir können es nicht hinnehmen, dass das Referendum zu einem Neverendum wird“, schrieb der frühere Sozialminister Iain Duncan Smith im Massenblatt „The Sun“. „Wir wollen so rasch wie möglich austreten.“Duncan Smith steht BrexitMinister David Davis und Außenhandelsminister Liam Fox nahe. Sie bilden gemeinsam mit Außenminister Johnson die Gruppe der „Three Brexiteers“, wie sie von den britischen Medien genannt werden, die für die Verhandlungen über den EU-Austritt verantwortlich sind.
Obwohl sie alle aus der konservativen Partei kommen, bestehen unter ihnen offene Meinungsverschiedenheiten und Rivalitäten. Das Außenministerium hat in den vergangenen Jahren massive Einsparungen erlitten, an allen Ecken und Enden fehlen Fachleute und erfahrene Experten. Daher steht Johnson dem Transfer von Beamten in die Ministerien seiner Rivalen Davis und Fox mehr als skeptisch gegenüber. Fox hat derzeit erst zehn Prozent seines Personals zusammen. Davis hat bisher erst 150 von 300 erforderlichen Experten gefunden. Sie kommen großteils von Beratungsfirmen und kosten ein Vielfaches der traditionellen Beamten. Da sein Ministerium noch keinen fixen Sitz hat, finden Mitarbeiterbesprechungen bei Starbucks statt.
Unbekannt ist aber weiterhin, wie London sich den EU-Austritt vorstellt. Eine Option, die EU-Gegner wie Duncan Smith verfechten, ist ein harter Ausstieg, wonach das Land nicht nur die EU, sondern auch den Binnenmarkt verlässt und danach bilaterale Handelsverträge mit allen Partnern abschließt. Der Vorteil dieses Zugangs wäre, dass er relativ schnell umsetzbar wäre. Der Nachteil, dass der Austritt aus dem Binnenmarkt für die britische Wirtschaft der mit Abstand größte Schock wäre. Experten sprechen von einem Verlust von bis zu vier Prozent des BIPs.
Ein weicher Brexit hingegen wird dauern, und ein klares Mandat und gut aufgestellte Teams erfordern. Charles Grant, Chef des EUfreundlichen Londoner Centre for European Reform, hat sechs Bereiche für Verhandlungen identifiziert: die rechtliche Trennung zwischen Großbritannien und der EU, die Aushandlung eines Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU, die Vereinbarung einer Übergangsphase, der Beitritt Großbritanniens zur Welthandelsorganisation (bisher Teil der EUMitgliedschaft), die Neuverhandlung aller 53 Handelsabkommen der EU für Großbritannien und die Neuordnung der Sicherheitszusammenarbeit. „Für halbwegs akzeptable Resultate braucht May das Entgegenkommen der 27 EU-Partner und -Institution“, schreibt Grant.