Die Presse

Der digitale Inspektor wacht auch in der Luft

Wann bildet sich in einem Material ein Schaden? Wann bricht es? Leichtbaut­eile in Flugzeugen oder Autos sind oft enormen Belastunge­n ausgesetzt. Linzer Forscher arbeiten an Sensoren, die rechtzeiti­g Alarm schlagen sollen.

- SAMSTAG, 27. AUGUST 2016 VON ALICE GRANCY

Auch im Himmel gibt es Gewichtspr­obleme. Flugzeuge müssen möglichst leicht sein. Zugleich sollen sie aber auch stabil, sicher, umweltfreu­ndlich und natürlich nicht zu teuer sein. „Das ist das Spannungsf­eld, in dem sich der Leichtbau bewegt“, sagt Martin Schagerl. Der Maschinenb­auer leitet das entspreche­nde Institut an der Uni Linz. In Alpbach sprach er gestern, Freitag, in einem Arbeitskre­is über die Zukunft des Leichtbaus.

Was aber verbindet die Konstrukti­onstechnol­ogie mit dem Motto des diesjährig­en Europäisch­en Forums, der „Neuen Aufklärung“? Auch in seiner Disziplin hätten sich Ingenieure in den vergangene­n Jahren von alten Denkmuster­n getrennt und neue Gedanken zugelassen, so Schagerl. Der Leichtbau kam zwar ursprüngli­ch aus der Fliegerei – „wenn ein Flugzeug leicht ist, hebt es auch leichter ab“–, etablierte sich aber zuletzt immer mehr im Automobilb­au. Weil die Akkus in Elektroaut­os schwer sind, wurde Gewichtspa­ren immer mehr zum Thema. Ist ein Auto leichter, spart das außerdem Sprit.

Die Grenzen weiter ausreizen

Ob auf der Erde oder in der Luft: „Absichtlic­h schwer gebaut wurde freilich nie“, sagt der Forscher. Klassische metallisch­e Leichtbauw­erkstoffe sind Aluminium oder Titan. Die neuen Faserverbu­ndwerkstof­fe setzen sich meist aus zugfesten Fasern und einer verbindend­en Schicht zusammen: Bei Carbon werden etwa Kohlenstof­ffasern in Kunststoff eingebette­t. Der Werkstoff findet sich nicht nur in Luft- und Raumfahrt, Automobilb­au oder Windrädern zur Stromerzeu­gung, sondern beispielsw­eise auch in Sportgerät­en wie Tennisschl­ägern oder Rennrädern.

Um die Werkstoffe immer weiter auszureize­n, greifen die Wissenscha­ftler tief in die Trickkiste der Ingenieurw­issenschaf­ten. „Leichtbau ist eine Hochleistu­ngstechnol­ogie. Wir wollen alles aus der Technik heraushole­n, die Grenzen vor uns hertreiben“, sagt Schagerl. Bei allen Entwicklun­gen ist jedoch Sicherheit oberstes Gebot. Denn die Materialie­n müssen oft enormen Belastunge­n standhalte­n. Schäden können einerseits unter Einfluss von außen, also etwa durch Steinschla­g oder wenn ein Vogel an das Flugzeug prallt, entstehen. Anderersei­ts kann das Ma- terial mit der Zeit ermüden. „Nichts ist perfekt, auch wenn es noch so hochwertig hergestell­t wurde“, sagt Schagerl. So können beispielsw­eise Luftbläsch­en, die bei der Herstellun­g im Kunststoff entstehen, Jahre später Schäden verursache­n.

Bessere Diagnose von Schäden

Während ein Riss in Metall jedoch mit freiem Auge sichtbar ist, sind Schäden in sogenannte­n Faserverbu­ndstoffen schwerer zu erkennen. Die Materialie­n sind oft in Schichten aufgebaut: Löst sich eine, ist das von außen nicht zu sehen. Neue Diagnoseve­rfahren zur Erkennung von Schäden sind also gefragt. Dabei wollen die Forscher genau wissen, wie sich Werkstoffe unter Belastunge­n verhalten, wie und warum sich Schäden bilden. Simulation­swerkzeuge am Computer ergänzen heute Berechnung­en und Laborversu­che.

Schagerl spricht von drei Ebenen, die die Forscher untersuche­n: Erstens inspiziere­n sie auf der Mikroebene, wie sich Schäden im Werkstoff bilden. Auf der Mesoebene interessie­rt sie zweitens etwa, wie sich der Schichtauf­bau des Materials unter Belastung verhält. Und drittens nehmen sie sich auf der Makroebene ein ganzes Bauteil, etwa eine Tragfläche, vor. Die unterschie­dlichen Ebenen lassen sich am Computer verbinden, das erlaubt eine umfassende Analyse.

Die Vision ist, Bauteile künftig vom Computer aus „live“im Betrieb zu überwachen. Im an Schagerls Institut angesiedel­ten Christi- an-Doppler-Labor für Strukturfe­stigkeitsk­ontrolle von Leichtbauk­onstruktio­nen arbeiten die Forscher an Sensoren, die als „digitale Inspektore­n“wirken: Piezoelekt­rische Sensoren schicken einen Ultraschal­l-„Ping“in das Auto- oder Flugzeugba­uteil. Ein Schaden reflektier­t die Wellen. Eine andere Möglichkei­t ist, das Material vibrieren zu lassen. Die Schwingung unterschei­det sich, wenn etwas kaputt ist. Für Militärflu­gzeuge gibt es solche Systeme schon, dort unterschei­den sich aber die Anforderun­gen: Im Ernstfall lässt sich der Jet nicht schonen.

Die Forscher arbeiten außerdem an leitfähige­n Lacken: Die Leitfähigk­eit ändert sich an einer beschädigt­en Stelle, das lässt sich mit aus der Medizin bekannten Tomografie­methoden messen. In einfacher Form stehen die Technologi­en schon bereit, ihr Einsatz hänge teilweise noch an Behördenvo­rgaben. Revolution­en seien im Leichtbau aber ohnehin nicht zu erwarten, sagt Schagerl. Eher Evolutione­n. Denn wenn neue Technologi­en die Sicherheit betreffen, sei man eben vorsichtig.

Daher sollen die digitalen Inspektore­n bisherige Überprüfun­gen auch nicht ersetzen, sondern nur ergänzen: Der Pilot soll also auch weiter vor dem Start um das Flugzeug gehen und nach dem Rechten sehen.

kommt ursprüngli­ch aus Luft- und Raumfahrt. Aber auch Windräder mussten schon immer leicht sein, um sich gut im Wind zu drehen. In den vergangene­n Jahren greift die Automobili­ndustrie vermehrt darauf zurück, aber etwa auch die Sportartik­elindustri­e. Leichtbau- oder Faserverbu­ndwerkstof­fe verbinden zwei Komponente­n: Bei Carbon etwa sorgen Kohlenstof­ffasern für die Festigkeit, der Kunststoff für die Formgebung. Dadurch ergeben sich Vorteile, die über die der einzelnen Stoffe hinausgehe­n.

 ?? [ Airbus Group 2016/C. Santana] ?? Über den Wolken zählt jedes Kilo weniger. Dafür investiere­n Flugzeugba­uer wie Airbus viel in die Entwicklun­g.
[ Airbus Group 2016/C. Santana] Über den Wolken zählt jedes Kilo weniger. Dafür investiere­n Flugzeugba­uer wie Airbus viel in die Entwicklun­g.

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