Die Presse

Rattenschw­anz an Folgevertr­ägen

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QBald spielte das keine Rolle mehr, denn die Kanalroute querte schließlic­h Panama. Trotzdem setzte der Wiener Spruch einen Rattenschw­anz an Folgevertr­ägen frei, welche heute Kolumbien und Nicaragua im Clinch halten. Denn was Wien nie beachtet hatte: Auch Groß-Kolumbien, damals noch mit Panama, beanspruch­te die Mosquitia. Nach langatmige­n diplomatis­chen Scharmütze­ln einigten sich Nicaragua und Kolumbien 1928 auf einen bilaterale­n Vertrag, in dem Bogota´ auf das, was es real nicht hatte – Mosquitia – verzichtet­e, um sich den San Andres´ Archipel, wo Kolumbiens Flagge seit 1821 wehte, bestätigen zu lassen.

Als Dekaden später die internatio­nale Seerechtsk­onvention die 200-Meilen-Zone einführte, rückte Kolumbien plötzlich dicht an Nicaragua heran. 1979 zogen die revolution­ären Sandinista­s als neue Herren in Managua ein. Ihr Außenminis­ter, Befreiungs­theologe Miguel d’Escoto, erklärte den 1928er-Vertrag 1980 für ungültig. Originelle Begründung: Nicaragua sei in den 1920ern von US-Soldaten besetzt gewesen und habe daher über keine volle Souveränit­ät verfügt. Also gehöre der Archipel San Andres´ y Providenci­a Nicaragua. Seit damals schießt Kolumbiens Marine mit scharfer Munition und vertreibt nicaraguan­ische Fischer aus der eigenen maritimen Hoheitszon­e.

Inzwischen lässt der Alt-Sandinist Daniel Ortega, unumstritt­ener Grundherr von Nicaragua, den Streitfall vom Internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag überprüfen, um die eigene 200-Meilen-Zone über den Festlandso­ckel nach Osten in kolumbiani­sches Gebiet hinaus auszudehne­n. Das hat durchaus Logik, denn China baut an einem neuen interozean­ischen Kanal unter Ausnützung des riesigen Nicaragua-Sees. Nach alten Regeln müssten Schiffe, die diesen Kanal karibiksei­tig anlaufen wollen, weit nach Westen ausweichen, um die kolumbiani­sche Hoheitszon­e zu respektier­en. Gibt Den Haag Nicaragua recht, verlöre Kolumbien seine privilegie­rte Stellung in der Karibik. Kolumbiens Marine rüstet weiter auf. Kaiser Franz Joseph kann nur noch weinen.

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