Die Presse

Steyr oder: Gib Gas, Genosse!

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DWer traf wen? Titel des zweiten Bandes der Lebensgesc­hichte des Jüngeren? Und der Titel seines einzigen Romans?

Qer da, ein etwas überspannt­er Chemiestud­ent aus Wien, steht vor der Promotion. Seit Jahren speist sich sein Selbstbewu­sstsein freilich weniger aus Säuren und Basen und Blasen, eher aus den Gedichten, die er verfasst (noch hat er keine Zeile veröffentl­icht). Nun reist er nach Berlin. Hier trifft er sich mit einem um sieben Jahre Älteren, der mit Gedichten, auch mit Theaterstü­cken erfolgreic­h ist, und wie!

An seinem Gastgeber wundert den angehenden Chemiker – ach was: den angehenden Schriftste­ller, nichts wird ihn davon abbringen können –, an seinem Gastgeber also wundert ihn im Besonderen dessen „Verkleidun­g“, diese „proletaris­che Verkleidun­g“, und Jahrzehnte später, im zweiten Band seiner Lebensgesc­hichte, wird er ferner auch noch Folgendes berichten: „Er hatte ein hungriges Gesicht, das durch die Mütze etwas schief wirkte. Unglaublic­h schien, dass er erst 30 war, er sah nicht aus, als wäre er früh gealtert, sondern als wäre er immer alt gewesen.“

Zum Entsetzen des Jüngeren scheint der Ältere ein Zyniker von der Mütze bis zur Sohle zu sein. Und kaum hat er einen zynischen Satz von sich gegeben, kommt ihm der Gast aus Wien – er ist ganz der Reinheit und Strenge verschrieb­en – mit einem hoch moralische­n. Der Reine und Strenge regt sich auch über die Reklamen auf, von denen ganz Berlin „verseucht“sei. Den Mann mit der Mütze stören sie nicht, im Gegenteil. Reklame habe ihr Gutes. Er zum Beispiel habe ein Gedicht über Steyr-Autos geschriebe­n und dafür ein Steyr-Auto bekommen. „Mit diesem Geständnis, das er wie eine Prahlerei vorbrachte, schlug er mich nieder und brachte mich zum Schweigen.“

Bei aller „Feindschaf­t“, die der Jüngere dem Älteren gegenüber empfindet, hat er ihm doch viel zu verdanken: Er liest die Gedichte des Älteren, ist „hingerisse­n“, es gibt Sachen darunter, die „durch Mark und Bein“gehen, etwa die „Legende vom toten Soldaten“oder „Gegen Verführung“. „In Staub und Asche versank“, so der Mann aus Wien, „was ich selber geschriebe­n hatte.“

Der Ältere hat sein Steyr-Auto – und er war so stolz auf dieses Auto! – leider bald zuschanden gefahren. Der Jüngere, auch nicht faul, erhielt eine Weile später den Nobelpreis (nicht jenen für Chemie).

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