Die Presse

Der Tramp liebte großbürger­liches Landleben

Schweiz. Charlie Chaplin, der Filmstar, der Privatmann, Familienva­ter und Genussmens­ch. Die neue Chaplin’s World am Genfer See ist mehr als ein Museum. Eine Exkursion in die Lebens- und Arbeitswel­t des Stummfilm-Superstars.

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Vierzehn Hektar sind kein Garten. Sie sind eine Welt für sich mit weiten Wiesen, endlos hohen Bäumen, die im Sommer lange Schatten werfen. Für die Kinder war Manoir de Ban ein Paradies zum Spielen und Herumtoben. Michael Chaplin brachte oft Schulkamer­aden mit nach Hause. Und die, erinnert er sich, waren oft enttäuscht, wenn sie sahen, dass der berühmte Vater schon ein älterer Herr mit weißen Haaren war und so gar nicht wie der Tramp, wie der schlurfend­e Vagabund mit dem verschmitz­ten Lächeln war, der Bösewichte und Kontrahent­en mit tänzelndem Schritt und flotten Drehungen austrickse­n konnte.

Täuschend aus Wachs

Charlie Chaplin war 63, als er 1952 Beverly Hills wegen politische­r Anfeindung­en während der McCarthy-Zeit verließ und sich in Corsiersur-Vevey ein opulentes Anwesen direkt am Ufer des Genfer Sees gönnte, das viel Platz für seine immer größer werdende Familie zu bieten hatte. Bis zu seinem Tod 1977 lebte er mit seiner Frau Oona und den Kindern sowie mit einem ziemlich umfangreic­hen Hausperson­al in dem neoklassis­chen Prachtbau zwischen Seeufer und Weingärten.

Es hat von der Idee bis zur Eröffnung gute eineinhalb Jahrzehnte gedauert, bis vor wenigen Monaten Chaplin’s World eröffnet wurde. Mit Beteiligun­g der Compagnie des Alpes, des weltgrößte­n Betreibers von Skigebiete­n, deren auf Wachsfigur­en-Erlebniswe­lten spezialisi­erte Tochterges­ellschaft Grevin,´ Nestle´ als Sponsor und natürlich mit dem Segen der Nachfahren kann der Besucher nun in die private und künstleris­che Welt Chaplins eintauchen. Im Manoir de Ban wird er von dessen Wachsfigur­enDoppelgä­nger empfangen, spaziert durch den Speisesaal und das Schlafzimm­er, begegnet dem von Chaplin verehrten Albert Einstein im Badezimmer und sieht, wie der wachsfigur­ene Charlie gerade in die Badewanne steigt. Natürlich angezogen. Zusammen mit Oona sieht er Filme im Heimkino. Die vielen Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden zeigen einen kinderlieb­en, verspielte­n Chaplin, der im Kreis seiner Familie gern Späße gemacht und offensicht­lich das großbürger­liche Landleben genossen hat.

Kulissen und Filmbilder

Das Interieur repräsenti­ert eine großbürger­liche, klassische Wohnatmosp­häre, sehr gediegen, aber nicht protzig. Landhausst­il würde man das heute nennen. Dazwischen finden sich zahlreiche verspielte Accessoire­s mit punktuelle­n Ausflügen ins Kitschige. Dieser Einblick in eine Welt, die Normalster­blichen seinerzeit verschloss­en blieb, ist genauso fasziniere­nd wie der Wechsel quer über den Park mit seinem halbstündi­gen Rundgang hinüber zu dem kantigen, nüchtern-modernen Neubau, der Chaplins Filmwelt erschließt.

Ein gläserner Vorbau, ein Drehkreuz, eine lange und breite Treppe führen hinein in den Nachbau der Hollywood Studios mit den Kulissen seiner großen Werke. Der Besucher startet eine zweite Zeitreise zu den rekonstrui­erten Kulissen seiner Sets, zum schlichten Straßenbil­d seines frühen Kurzfilms „Easy Street“von 1917, zur Manege aus „Der Zirkus“, in der man Roberto Benigni und Federico Fellini begegnet und zur monströsen Maschine aus „Moderne Zeiten“.

Nicht fehlen dürfen bei diesem Streifzug auch die Bilder seiner großen Filme, die auf XXL-Bildschirm­en stilgerech­t laufen. Der Studiobere­ich mischt geschickt nachgebaut­e Nostalgie und moderne Ausstellun­gstechnik. Dazu sind verblüffen­d echt wirkende Wachsfigur­en von berühmten Darsteller­n in die Szenen integriert – wie etwa Virginia Cheryll aus „City Lights“, Edna Purvance aus „The Immigrant“oder Eric Campbell, der in elf Chaplin Filmen den Bösewicht und Widersache­r spielte.

Muße im Park

Das Cafe-´Restaurant mit dem naheliegen­den Namen The Tramp im Untergesch­oß setzt mit seinem typischen Waadtlände­r Stil noch einen lokalen Akzent, was allerdings auch gut zu Chaplins Biografie passt, der in den 25 Jahren am Genfer See die Tradition und Lebensweis­e der Einheimisc­hen gern genossen hat.

Ein abschließe­nder Spaziergan­g durch den Park, eine Pause auf der Bank mit Blick auf die Fassade des Manoir de Ban wäre eine gute abschließe­nde Reverenz. Auch Chaplin selbst liebte die Mußestunde­n in seiner riesigen Anlage und verbrachte dort viele Stunden. Was man auch gut verstehen kann bei diesem Ausblick.

 ?? [ Marc Ducrest; ] ?? Wiederbege­gnung mit Charlie Chaplin: Sein Anwesen am Genfer See birgt viele Szenen aus seinen Filmen.
[ Marc Ducrest; ] Wiederbege­gnung mit Charlie Chaplin: Sein Anwesen am Genfer See birgt viele Szenen aus seinen Filmen.

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