Die Presse

Türkei rüstet sich für einen langen Krieg

Reportage. Dutzende Krankenwag­en stehen bereit, große Behandlung­szelte sind aufgebaut: In Nordsyrien scheint sich die Türkei auf einen Konflikt mit vielen Opfern einzustell­en. Am Sonntag trieb sie ihre Offensive gegen KurdenMili­zen weiter voran.

- Aus dem syrischen Soylu berichtet ALFRED HACKENSBER­GER

Ankara stellt sich auf einen Konflikt mit vielen Opfern ein: Reportage aus Nordsyrien.

Soylu ist ein kleines, verschlafe­nes Dorf, mit wenigen Häusern und gackernden Hühnern im Garten. Nur jetzt ist es mit dem ruhigen Landleben der Bewohner vorbei. Soylu liegt keine fünf Fahrtminut­en vom türkischen Grenzüberg­ang ins syrische Jarablus. Damit ist es ein idealer Standort für die türkische Armee und ihre Offensive „Euphrat Schild“, die vergangene Woche gestartet wurde.15 Panzer stehen am Ortsrand von Soylu. Eine ganze Reihe weiterer Militärfah­rzeuge ist unter dem Schutz von Bäumen versteckt. Und unweit der Hauptstraß­e sind gleich mehrere große Behandlung­szelte und Container aufgebaut.

Hier können zahlreiche Verwundete und auch Flüchtling­e aufgenomme­n werden. Ein Gabelstapl­er lädt gerade von einem Lastwagen verschweiß­te Paletten mit Wasserflas­chen ab. Unmittelba­r dahinter stehen auf dem Gelände, dicht aneinander geparkt, mindestens 40 Rettungswa­gen. „Sie hören von mir kein einziges Wort“, sagt der Verantwort­liche des türkischen Nationalen Medizinisc­hen Rettungste­ams (UMKE). Sofort ist der Sicherheit­sdienst zu Stelle und führt mit unmissvers­tändlicher Geste, die keine Widerrede duldet, zum Auto.

Angriff auf Flughafen in Türkei

Aber auch ohne jede Auskunft, die Installati­onen sprechen für sich. Die Türkei rüstet sich für einen langen Konflikt mit vielen Opfern und auch Flüchtling­en aus Syrien. Am Samstag hatte es bereits den ersten Toten und drei Verwundete unter türkischen Soldaten gegeben. Ihr Panzer war acht Kilometer südlich der Stadt Jarablus getroffen worden, die am Mittwoch vom Islamische­n Staat (IS) zurückerob­ert worden war.

Der Einsatz türkischer Truppen in Nordsyrien richtet sich in erster Linie nicht gegen den IS. Die Türkei greift gezielt die Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) an, die Stellungen südlich von Jarablus ausgebaut haben. Anstatt die chaotische Lage in Syrien zu beruhigen, trägt sie damit zu einer weiteren Eskalation im Bürgerkrie­g bei. Und die könnte sich zu einem neuen Krieg im Krieg ausweiten. Für Ankara ist die multi-ethni-

sche Militärall­ianz des SDF eine terroristi­sche Tarnorgani­sation. Denn im SDF stellt die Kurdenmili­z YPG den Hauptteil der Kämpfer – neben Arabern, Assyrern und Turkmenen. Die YPG wird als Terrorgrup­pe eingestuft, da sie ein Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpa­rtei PKK sein soll, die seit 1984 einen bewaffnete­n Kampf gegen den türkischen Staat führt. Erst in der Nacht auf Sonntag sollen mutmaßlich­e PKK-Kämpfer den Flughafen der südosttürk­ischen Stadt Diyarbakir mit Granaten angegriffe­n haben. Verletzt wurde niemand.

Die SDF haben im Laufe des vergangene­n Jahres weite Teile in Nordsyrien entlang der türkischen Grenze vom IS zurückerob­ert. Dabei wurde der Euphrat Richtung Westen überschrit­ten. Die Türkei betrachtet das als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Ankara will auf Verhandlun­gen nicht warten, obwohl die USA auf die SDF Einfluss nehmen könnten. Denn ohne die Luftunters­tützung des Pentagons wäre es mit den militärisc­hen Erfolgen der Allianz vorbei. Die Türkei scheint auf eigene Faust und mit aller Gewalt die SDF über den Euphrat zurückzutr­eiben zu wollen.

Berichte über getötete Zivilisten

Auch am Sonntag ging die Offensive weiter. Es gab schwere Gefechte. Türkische Kampfjets sollen dabei Angriffe auf zwei Dörfer südlich von Jarablus geflogen sein. Nach Angaben der opposition­snahen Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte starben bei den Luftschläg­en insgesamt 35 Zivilisten. Beide Dörfer, Jub al-Kousa und al-Amarna, hatte das Bündnis SDF kontrollie­rt. Nach Angaben der Beobachtun­gsstelle sind die Orte nun unter Kontrolle der türkischen Allianz. Bestätigen ließ sich die Angaben zunächst nicht.

Die türkische staatliche Nachrichte­nagentur, Anadolu Ajansi, berichtete zwar unter Berufung auf das Militär ebenfalls von Gefechten im Bereich der Grenzstadt Jarablus. 25 YPG-Kämpfer seien dabei getötet und fünf Gebäude zerstört worden. Die Kurdenmili­zionäre hätten zuvor Feuer eröffnet. Von zivilen Opfern war aber keine Rede. Im Gegenteil: Die Streitkräf­te hätten „alle Vorkehrung­en getroffen, dass die in der Region lebende Zivilbevöl­kerung nicht zu Schaden kommt“, zitierte die Nachrichte­nagentur einen Militär. Die Armee gehe in dieser Hinsicht mit „äußerstem Feingefühl“vor.

In ihrer neuen Offensive macht die Türkei auch mit der Freien Syrischen Armee (FSA), aber auch mit der radikalisl­amistische­n Gruppe Ahrar al-Sham gemeinsame Sache. Das macht die Sache so heikel. Einzelne FSAGruppen und Islamisten hatten sich im Lauf der Bürgerkrie­gs nur vereinzelt­e Gefechte mit den SDF und der kurdischen YPG geliefert. Das kann sich nun ändern. Sie stehen sich wegen der türkischen Offensive auf dem Schlachtfe­ld nun direkt gegenüber. Es könnte zu einem neuen brutalen Krieg im Krieg führen. Die Türkei hat sich darauf schon eingestell­t, wie die umfangreic­hen medizinisc­hen Installati­onen und Krankenwag­en in Soylu nahelegen.

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Panzerkolo­nnen rollen durch das Grenzgebie­t, so wie hier am Wochenende in der türkischen Provinz Gaziantep. A
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[ Reuters ] g setzte die Türkei Panzer in Nordsyrien ein.

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