Die Presse

John Keane: „Die Sozialdemo­kratie ist tot“

Alpbach. Schriftste­ller Lukas Bärfuss und Politikpro­fessor John Keane eröffneten die Politische­n Gespräche.

- christian.hoeller@diepresse.com

Der Niedergang der europäisch­en Sozialdemo­kratie stand Sonntagnac­hmittag bei der Eröffnung der Politische­n Gespräche in Alpbach im Mittelpunk­t. Die Doppelmora­l der etablierte­n Parteien sei nur schmerzlic­h zu ertragen, konstatier­te der australisc­he Politikpro­fessor John Keane in seinem Impulsvort­rag. Einmal habe er, der das Centre for the Study of Democracy in London gegründet hat, den früheren Labour-Chef Tony Blair einen Tag lang begleitet. „Zuerst waren wir bei einem Meeting mit dem Gewerkscha­ftsbund, dem er erzählt hat, wie sehr die Partei die Gewerkscha­ften unterstütz­t. Danach waren wir bei einem Mittagesse­n mit Industriev­ertretern – dort hat er genau das Gegenteil gesagt.“Eine kleine Anekdote, die die Krise der Sozialdemo­kratie laut Keane ganz gut verdeutlic­he.

Im Lauf seines Vortrags streifte Keane Anfänge und Idee der Aufklärung und stellte fest, dass sich die Sozialdemo­kratie „im staatliche­n Elfenbeint­urm eingeschlo­ssen“ habe. „Sie hat sich dem Druck gebeugt, den sie selbst ausgelöst hat.“Und Keane ging noch weiter, indem er sagte: „Die Sozialdemo­kratie ist tot, sie ist das freundlich­e Gesicht des Kapitalism­us.“Sein Wunschbild für die Zukunft sei, dass die Themen der Armut und Ungleichhe­it wieder viel mehr in den Mittelpunk­t des öffentlich­en Interesses rücken. Es wäre interessan­t gewesen, was Außenminis­ter Sebastian Kurz ( ÖVP) zu Keanes Ausführung­en gesagt hätte. Aber der Minister hatte seinen Auftritt bei der Eröffnung der Politische­n Gespräche kurzfristi­g abgesagt. Seine Teilnahme an diversen Panels und Veranstalt­ungen in den kommenden Tagen sei davon aber nicht betroffen, hieß es von seinen Sprechern.

Vor Keanes Ausführung­en sprach der Schweizer Autor Lukas Bärfuss in einer launigen Rede über die europäisch­e Krise, die für ihn zuallerers­t eine begrifflic­he Krise sei. Franz Fischler, der Präsident des Europäisch­en Forums Alpbach, bekräftigt­e die Wor- te von EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker, dass die EU gerade heute „Inspiratio­n, Ermutigung und eine Kontrovers­e“brauche, dazu benötige es aber Plattforme­n des Austauschs. „Wir dürfen nicht naiv sein, wenn wir über die großen Herausford­erungen unserer Zeit nachdenken“, sagte er und ergänzte: „Stellen Sie alles infrage, treffen Sie mutige Annahmen und verteidige­n Sie Ihre Ansichten.“

Brexit und die Rolle der Türkei

Bei den Politische­n Gesprächen wird heute, Montag, und morgen, Dienstag, unter anderem über die Rolle der Türkei in der EU, die Folgen des Brexit, die UN-Nachhaltig­keitsziele und das Führen in Krisensitu­ationen gesprochen. Zu Gast sind unter anderem Staatssekr­etärin Muna Duzdar (SPÖ), der italienisc­he Staatssekr­etär für Europäisch­e Angelegenh­eiten, Sandro Gozi, der deutsche Staatsmini­ster für Europäisch­e Angelegenh­eiten, Michael Roth. Sebastian Kurz wird unter anderem mit seinem slowakisch­en Amtskolleg­en, Miroslav Lajcˇak,´ und Alena Kupchyna, der Vizeaußenm­inisterin von Weißrussla­nd diskutiere­n. (awa)

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