John Keane: „Die Sozialdemokratie ist tot“
Alpbach. Schriftsteller Lukas Bärfuss und Politikprofessor John Keane eröffneten die Politischen Gespräche.
Der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie stand Sonntagnachmittag bei der Eröffnung der Politischen Gespräche in Alpbach im Mittelpunkt. Die Doppelmoral der etablierten Parteien sei nur schmerzlich zu ertragen, konstatierte der australische Politikprofessor John Keane in seinem Impulsvortrag. Einmal habe er, der das Centre for the Study of Democracy in London gegründet hat, den früheren Labour-Chef Tony Blair einen Tag lang begleitet. „Zuerst waren wir bei einem Meeting mit dem Gewerkschaftsbund, dem er erzählt hat, wie sehr die Partei die Gewerkschaften unterstützt. Danach waren wir bei einem Mittagessen mit Industrievertretern – dort hat er genau das Gegenteil gesagt.“Eine kleine Anekdote, die die Krise der Sozialdemokratie laut Keane ganz gut verdeutliche.
Im Lauf seines Vortrags streifte Keane Anfänge und Idee der Aufklärung und stellte fest, dass sich die Sozialdemokratie „im staatlichen Elfenbeinturm eingeschlossen“ habe. „Sie hat sich dem Druck gebeugt, den sie selbst ausgelöst hat.“Und Keane ging noch weiter, indem er sagte: „Die Sozialdemokratie ist tot, sie ist das freundliche Gesicht des Kapitalismus.“Sein Wunschbild für die Zukunft sei, dass die Themen der Armut und Ungleichheit wieder viel mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken. Es wäre interessant gewesen, was Außenminister Sebastian Kurz ( ÖVP) zu Keanes Ausführungen gesagt hätte. Aber der Minister hatte seinen Auftritt bei der Eröffnung der Politischen Gespräche kurzfristig abgesagt. Seine Teilnahme an diversen Panels und Veranstaltungen in den kommenden Tagen sei davon aber nicht betroffen, hieß es von seinen Sprechern.
Vor Keanes Ausführungen sprach der Schweizer Autor Lukas Bärfuss in einer launigen Rede über die europäische Krise, die für ihn zuallererst eine begriffliche Krise sei. Franz Fischler, der Präsident des Europäischen Forums Alpbach, bekräftigte die Wor- te von EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker, dass die EU gerade heute „Inspiration, Ermutigung und eine Kontroverse“brauche, dazu benötige es aber Plattformen des Austauschs. „Wir dürfen nicht naiv sein, wenn wir über die großen Herausforderungen unserer Zeit nachdenken“, sagte er und ergänzte: „Stellen Sie alles infrage, treffen Sie mutige Annahmen und verteidigen Sie Ihre Ansichten.“
Brexit und die Rolle der Türkei
Bei den Politischen Gesprächen wird heute, Montag, und morgen, Dienstag, unter anderem über die Rolle der Türkei in der EU, die Folgen des Brexit, die UN-Nachhaltigkeitsziele und das Führen in Krisensituationen gesprochen. Zu Gast sind unter anderem Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ), der italienische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, Sandro Gozi, der deutsche Staatsminister für Europäische Angelegenheiten, Michael Roth. Sebastian Kurz wird unter anderem mit seinem slowakischen Amtskollegen, Miroslav Lajcˇak,´ und Alena Kupchyna, der Vizeaußenministerin von Weißrussland diskutieren. (awa)