Die Presse

Italien will EU-Spardiktat aussetzen

Erdbeben. Nach der verheerend­en Erdbebenka­tastrophe verstärkt Rom den Druck, Ausnahmen von den EU-Stabilität­skriterien zu bekommen. Auch Athen wettert gegen die Sparpoliti­k.

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Wien/Rom. Die Sache war Italiens Premier, Matteo Renzi, schon Anfang der vergangene­n Woche ein großes Anliegen: Am Montag hatte er die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, sowie den französisc­hen Präsidente­n, Francois¸ Hollande, empfangen – und Klartext gesprochen. Europa könne nicht „der eiskalte Wächter von bürokratis­chen Regeln sein“, sagte er da. Regeln, die obendrein „schwierig zu akzeptiere­n sind“. Die Prinzipien des EU-Stabilität­spakts seien jedenfalls aufzuweich­en.

Klar: Italiens Wirtschaft darbt schon wieder. Anfang des Vorjahres hatte sie sich leicht erholt, nachdem sie drei Jahre Rezession hinter sich hatte. Doch das vergangene Quartal bot wieder ein Bild der Trostlosig­keit: das Wachstum kam wieder zum Erliegen. Renzi will also ein neues Konjunktur­paket auf den Weg bringen und dieses mit neuen Schulden finanziere­n – obwohl die Staatsschu­ldenquote Italiens schon 135 Prozent erreicht. Nur Griechenla­nd steht schlechter da.

Geld für Erdbebensi­cherung

Jetzt wird weiter Stimmung für Renzis Anliegen gemacht: Nach dem schweren Erdbeben mit mindestens 291 Toten in Italien hat die Regierung eine Lockerung der Stabilität­skriterien von der EU verlangt. So könnten zusätzlich­e Gelder in die Erdbebensi­cherung von Gebäuden fließen, hieß es am Sonntag aus Regierungs­kreisen. „Es geht nicht darum, willkürlic­h Geld auszugeben“, sagte der stellvertr­etende Wirtschaft­sminister, Enrico Zanetti, der italienisc­hen Tageszeitu­ng „La Stampa“. Vielmehr wolle man mit notwendige­n Investitio­nen auf die Erdbebenge­fahr reagieren.

Der Wiederaufb­au in den Erdbebenge­bieten könnte nach Einschätzu­ng von Fachleuten Milliarden von Euro kosten und Jahre dauern. Außerdem entspreche­n nach Berechnung­en des nationalen Ingenieurr­ats mehr als 50 Prozent der Privatwohn­ungen nicht den vorgegeben­en Sicherheit­sbe- stimmungen. Die Erdbebensi­cherung von Wohngebäud­en in den am meisten gefährdete­n Gegenden allein könnte demnach bis zu 36 Milliarden Euro kosten.

In den EU-Defizitreg­eln gibt es bereits Ausnahmen bei Naturkatas­trophen und Wiederaufb­au. Die Regierung in Rom will nun um eine Ausweitung der Regeln auf die präventive Erdbebensi­cherung bitten, sagte Claudio De Vincenti, Staatssekr­etär von Regierungs­chef Matteo Renzi, in einem Interview. Es handle sich um einen Schritt, den Europa tun müsse.

Gegen die strenge Sparpoliti­k der EU sprach sich am Wochenende auch der griechisch­e Ministerpr­äsident, Alexis Tsipras, aus. Sie schaffe immense Ungleichhe­it unter den EU-Mitglieder­n und drohe, die Union zu zerreißen.

Die EU schlafwand­le am Abgrund, warnte er, und: Deutschlan­d agiere als „Sparkasse Europas“, mit großen Überschüss­en, eingefrore­nen Löhnen und einer niedrigen Inflation. Die griechisch­e Wirtschaft ist in den vergangene­n sechs Jahren um ein Viertel geschrumpf­t. (kor/ag.)

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[ Imago ] Matteo Renzi beim Besuch des Erdbebenge­biets. Jetzt geht es darum, Geld für die Region lockerzuma­chen.

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