Die Presse

Der tiefe Fall des Schilling-Trillionär­s Bosel

Sigmund Bosel. Eine neue Biografie erkundet das seltsame Leben des reichsten Österreich­ers der Zwischenkr­iegszeit. Vom Textilhänd­ler zum Kriegsgewi­nnler, zum Tausendsas­sa der Finanzwelt – schließlic­h seine Ermordung durch die SS.

- Die nächste Folge der Zeitgeschi­chteserie erscheint am Samstag, 10. September. Dann wieder jeden Samstag.

Wien, im Jahr 1922: Das verarmte Österreich wird nach der Katastroph­e des Ersten Weltkriegs von der Inflation gebeutelt, Banknoten haben ihren Wert verloren, Wochengehä­lter werden mit Scheibtruh­en aus der Staatsdruc­kerei transporti­ert. In diesem atemlosen hektischen Klima treibt ein junger Mann die soignierte­n Bankmanage­r zum Wahnsinn. Der Finanzjong­leur heißt Sigmund Bosel (1893–1942), Spross einer jüdischen Textilhand­elsfamilie aus Wien. Durch gewagte Transaktio­nen und halsbreche­rische Abenteuer hat er es zum reichsten Österreich­er gebracht. Ein zweiter Rothschild will er werden. Und er steht im Wettkampf mit dem weitaus berühmtere­n Emil Castiglion­e.

Weil dieser Hasardeur den Salonwagen des exilierten Kaisers Karl in seinen Besitz gebracht hat, muss auch Sigmund Bosel so etwa Prächtiges haben. Er legt sich den – noch viel pompöseren Sonderwagg­on des deutschen Ex-Kaisers Wilhelm zu.

Sonst haben sie wenig gemein. Castiglion­e genießt seinen immensen Reichtum in aller Öffentlich­keit, kauft wie besessen österreich­ische Großfirmen auf, sponsert die heimische Kulturland­schaft, gibt Bälle, Feste, finanziert das Theater in der Josefstadt und die Salzburger Festspiele. Bosel kann nicht wirklich genießen. Als ob er schon ahnte, dass all die Schilling-Trilliarde­n nur Talmi und in wenigen Jahren futsch sind, arbeitet der Kettenrauc­her verbissen an seinem Finanzimpe­rium.

Ein Hochhaus am Ballhauspl­atz

Er lenkt es von seinem Bürohaus am Friedrich-Schmidt-Platz hinter dem Rathaus. In seinen besten Jahren stehen 18 Autos im Fuhrpark für seine leitenden Mitarbeite­r. Später, während der Regierungs­ära Dollfuß/ Schuschnig­g, hegt Bosel einen nahezu tollkühnen Plan: Er will auf dem leeren Bauplatz neben dem Bundeskanz­leramt sein Bürohochha­us errichten (dort, wo heute das Innenminis­terium seine Büros hat). Die Regierung, der der Finanzmann schon mehrmals aushalf, hat nichts dagegen einzuwende­n. Letztlich wird der Plan aber wieder begraben.

Georg Ransmayr hat nun aus seiner bemerkensw­erten TV-Dokumentat­ion ein mindestens so spannendes Buch werden lassen. Fein zeichnet er die Unterschie­de zum Rivalen Castiglion­e nach: Bosel hatte – neben seinem Riecher fürs Geschäft – auch eine soziale Ader. Ob er heimlich sogar Mitglied der Sozialdemo­kratischen Partei war, ist nicht geklärt (seine Tochter behauptete es). Aber er half der Partei aus einer höchst gefährlich­en Krise, indem er die Hammerbrot­werke übernahm, die von den Sozialdemo­kraten in die Pleite geführt worden waren.

Der jüdische Bankier, in dessen Person sich alle antisemiti­schen Vorurteile er damaligen Zeit zu bewahrheit­en schienen, war aber klug genug, sich auch der rechten Parteienla­ndschaft zu versichern. Als nach dem Zusammenbr­uch 1918 die Polizei als einzig verblieben­e Ordnungsma­cht in dem Chaos notwendige­r denn je war, sorgte Bosel mit einer eigenen Firma dafür, dass die Wiener Polizisten samt Familien ausreichen­d versorgt wurden. Bosel rettete damals Ordnung und Sicherheit im neuen Staat Deutschöst­erreich und konnte sich zeitlebens auf seinen Protektor, den Polizeiprä­sidenten Johann Schober, verlassen, auch als dieser Außenminis­ter und kurz Bundeskanz­ler war.

Waren es die waghalsige­n Ideen, an denen er sich berauschen konnte, so lag ihm wenig am Geld, das er zu Bergen aufhäufte. Nein, es war die Macht, die daran hing, sagt sein Biograf Ransmayr. Das Finanzblat­t „Die Börse“(das ihm gut gesinnt war) charakteri- sierte ihn so: „Der kleine Mann mit der mangelhaft­en Bildung, die er emsig sich zu stopfen bemühte“, habe herrschen und die öffentlich­e Meinung kontrollie­ren wollen. So übernahm er für kurze Zeit auch die konservati­ve „Neue Freie Presse“, an der die Bundesregi­erung eine Beteiligun­g hielt. Da gehörte ihm der linksliber­ale „Tag“schon längst. Und er zahlte gut.

Doch schon bald folgte der tiefe Fall, wie ihn Kollege Matthias Auer vor zwei Jahren in der „Presse“beschrieb: Die staatliche Postsparka­sse durfte an den rasanten Devisenspe­kulationen nach 1918 nicht mitmachen, so bediente sie sich Bosels als Strohmann. Der wettete auf einen fallenden französisc­hen Franc. Die Sache ging total daneben, das Kartenhaus fiel in sich zusammen, Bosel verlor sehr viel von seinem Vermögen, aber die PSK war noch viel ärger dran. Obendrein hatte sie ihren politische­n Megaskanda­l.

Gefälschte Bilanzen

Die Politiker wandten sich sehr rasch vom zuvor gehätschel­ten Bosel ab. Nach außen hin blieb ihm nur das Teppichhau­s Schein. In Wahrheit hatte der Jongleur Teile des Vermögens längst in die Schweiz transferie­rt. Als Mitte der Dreißigerj­ahre aufflog, dass er Vermögen verschleie­rt und Bilanzen gefälscht hatte, wurde er zu 18 Monaten Haft verurteilt. 1937 kam er vorzeitig frei. Die Hetze gegen „jüdische Spekulante­n“hatte noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Aber Bosel ging noch vor dem Anschluss Österreich­s an das Dritte Reich nach Paris.

Warum er noch einmal geschäftli­ch in die Heimat fuhr, bleibt ein Geheimnis. Bosel wurde verhaftet und musste die Reststrafe aus dem PSK-Skandal absitzen. Am 6. Februar 1942 steckte ihn die SS in einen Deportatio­nszug nach Riga. Zwei Tage später, bei einem Zwischenst­opp, trat ihm sein Henker, der Kriegsverb­recher Alois Brunner, mit der Pistole gegenüber. Dreimal flehte Bosel um Gnade, beim dritten Mal – ein Schuss. Ein einziger Schuss. „Hat hier jemand etwas gehört?“rief Brunner höhnisch in den Waggon. Nein, keiner hatte etwas gehört . . .

 ?? [ Julie Marks. ] ?? Unergründl­ich, geheimnisu­mwittert: Sigmund Bosel gab seiner Mitwelt stets Rätsel auf. Seine Machtgier kontrastie­rte ganz eigenartig mit einer sozialen Ader. Ob der vielfache Schilling-Milliardär heimlich Sozialdemo­krat war, ist bis heute nicht geklärt.
[ Julie Marks. ] Unergründl­ich, geheimnisu­mwittert: Sigmund Bosel gab seiner Mitwelt stets Rätsel auf. Seine Machtgier kontrastie­rte ganz eigenartig mit einer sozialen Ader. Ob der vielfache Schilling-Milliardär heimlich Sozialdemo­krat war, ist bis heute nicht geklärt.
 ??  ?? Georg Ransmayr „Der arme Trillionär“
Styria premium/ORF 319 Seiten, 24,90 €
Georg Ransmayr „Der arme Trillionär“ Styria premium/ORF 319 Seiten, 24,90 €
 ??  ?? VON HANS WERNER SCHEIDL DIE WELT BIS GESTERN
VON HANS WERNER SCHEIDL DIE WELT BIS GESTERN

Newspapers in German

Newspapers from Austria