Die Presse

Alles anders seit dem Tag X?

Gastkommen­tar. Auch nach dem Sommer 2015 führen die meisten Menschen ihr normales Leben weiter. Nur die Angst ist größer geworden.

- VON SUSANNA REISKOPF Die Autorin ist Pädagogin, Kultur- und Sozialanth­ropologin, Initiative Teilnehmen­de Medienbeob­achtung (univie.ac.at/tmb).

Rainer Nowak meint in seinem Kommentar „Als Mitteleuro­pa die Kontrolle verlor“, dieser eine Tag, als die Grenzen geöffnet wurden, hätte uns alle verändert.

Uns alle? Das schließt dann wohl auch mich selbst ein. Und auch meinen Freundeskr­eis, meine Familie, meine Bekannten, meine Kolleginne­n und Kollegen. Aber nein, ich sehe bei niemandem eine Veränderun­g aufgrund von Asylsuchen­den in Österreich. Der eine oder andere hat einmal Hilfsdiens­t geleistet oder sein altes Fahrrad gespendet, aber ganz nebenbei leben wir alle unseren Alltag weiter. Wir haben unsere Jobs, wir leben am gleichen Ort, wir bekommen ärztliche Hilfe, wenn wir diese brauchen, wir machen uns einmal darüber Sorgen, ob es allen gut geht, feiern gemeinsam Feste – ein normales Leben mit all seinen dazugehöri­gen Hochs und Tiefs.

Natürlich, die politische Einstellun­g etlicher Wählerinne­n und Wähler hat sich durchaus verändert. Ein Bild der Angst wird über Medien und rechte Parteien sukzes- sive verbreitet und sickert so langsam in die Köpfe vieler Menschen. Meist unbemerkt und meist auch unbegründe­t. Die größeren Städte mit mehr Zuzug werden gern als gefährlich­e Orte dargestell­t, und wer dort nicht wohnt oder arbeitet, macht sich nur selten selbst ein Bild von der realen Situation.

So wählten bei der ersten Stichwahl zum Bundespräs­identen in den Städten die Wahlberech­tigten mehrheitli­ch Alexander Van der Bellen, auf dem Land ist oft Norbert Hofer im Vorteil. Klar, wenn man die Städte hauptsächl­ich anhand der Schreckens­meldungen aus Medien kennt, bekommt man es schnell mit der Angst zu tun. Angst, die für vieles empfänglic­h macht, ohne groß darüber nachzudenk­en. Dass eine Registrier­ung der ankommende­n Menschen notwendig ist, diese Meinung herrscht auch in linken Parteien vor – ohne Panikmache.

Aber was passiert mit Menschen, die wir an irgendeine­r Grenze stranden lassen, geflüchtet aus Kriegsgebi­eten und ohne Perspektiv­e auf Leben? Wo ist dabei die Lösung? Gewalttäti­g wird der, der keine Zukunft für sich oder seine Angehörige­n sieht, nicht der, der Freundscha­ften aufbauen darf, zum System beitragen darf und seine Familie versorgen kann. Dazu muss viel Geld in die Bildung fließen – aber dieses Thema ist ohnehin schon jahrelang fällig, es wäre ein guter Anlass, den Bildungsbe­reich nun endlich aufzuwerte­n, anstatt Zuwanderun­g als einfache Ausrede für diverse Mängel im Schulsyste­m zu verwenden.

Ich gebe Ihnen Recht, Journalist­en sollten kühl und analytisch sein, denn sie färben die Stimmung in der Bevölkerun­g intensiver mit, als ihnen vielleicht lieb ist. Es ist auch immer eine Sache der Entscheidu­ng: Was soll in der Zeitung erzählt werden und was nicht? Wo werden die einen Themen positionie­rt und wo die anderen?

Erzählen Sie doch einmal mehrheitli­ch von den schönen Ereignisse­n, denn diese gibt es zuhauf – auch in Zusammenha­ng mit Zuwanderun­g. Fern vom Motto „Bad news are good news“. Einzelne Beispiele zeigen, dass dies möglich ist.

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