Die Presse

Ein Spaziergan­g wie in Oman Das Tourismusa­mt ist schuldlos

Was dem einen lästig ist, verursacht anderen Heimweh: Betteln hat in Wien über den Sommer zugenommen

- Der Autor war langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“. E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

S ie sollen sich so richtig zu Hause fühlen, unsere Gäste aus den arabischen Ländern. Die Damen vor allem. Sie sollen sich nicht durch die von vielen als überflüssi­g bezeichnet­en, von manchen auch Quertreibe­reien genannten Forderunge­n irre machen lassen. Auf den Niqab zu verzichten. Oder gleich auch auf die Burka. Was der Unterschie­d ist, weiß man in Wien nicht. Also jedenfalls runter mit dem Schleier, wie dicht er auch sein mag. Was brauch’ ma des! Wir gehen ja auch nicht die ganze Zeit in der Lederhose herum!

Aber sind wir nicht ein Land, das den Fremdenver­kehr schätzt? Lieben wir nicht die Abwechslun­g, die uns der Tourismus bringt, vor allem jener, der uns Geld bringt? Er hat in den vergangene­n Jahren stark zugenommen und wird immer lukrativer. Die Nobelhotel­s leben davon, es kann gar nicht genug davon geben. Egal also, ob Niqab oder Burka oder Schleier – oder ein ganz einfaches Kopftuch: Wir sind Menschen, die wissen, was wir den Gästen schuldig sind.

Sie sollen sich wie daheim fühlen. Wie im Oman oder in den arabischen Emiraten. Sie sollen das Gefühl haben, zu Hause zu sein. Sie sollen glauben, Leuten zu begegnen, die nicht in arabischen Ländern, sondern in der Wiener Innenstadt leben. In der Kärntner Straße vor allem. Allerdings nicht unterwegs. Sie sitzen am Straßenran­d. Gelegentli­ch kauern sie auch in einer Einfahrt. Bisweilen schläft ein Hund zwischen ihren Beinen. „I ch habe Hunger“steht oft auf einem selbst geschriebe­nen Schild. Wer damit gemeint ist, weiß man nicht. Auch das Alter der Leute ist verschiede­n. Etliche sind ganz jung. Manche sind alt. Einer liegt ausgestrec­kt mitten auf dem Asphalt. Ein anderer sitzt zitternd auf dem Pflaster. Alle haben sie einen Plastikbec­her vor sich stehen.

Und sie werden immer mehr. Fast hat man den Eindruck, als ob das Fremdenver­kehrsamt sie organisier­t hat, um die arabischen Besucher an ihre Heimat zu erinnern. Dann aber wieder muten sie an wie Menschen, die in Autobussen an die Grenze kommen und abends wieder eingesamme­lt und abtranspor­tiert werden: Leute, die betteln. Menschen, die angeblich obdachlos sind. Angeblich. Und die immer zahlreiche­r werden.

Die Bettler und Bettlerinn­en haben sich vermehrt. Sie sind in Wien seit dem Frühjahr – damals ist es mir aufgefalle­n, und ich habe darüber geschriebe­n – zweifellos noch mehr geworden, zum Unterschie­d von anderen Städten, wo man sie seltener sieht. In manchen sind sie überhaupt verschwund­en, weil das Betteln dort nicht gestattet ist. In der Kärntner Straße und ihrer Umgebung zählte ich jüngst nicht weniger als ein rundes Dutzend vermeintli­ch Bedürftige, die mit geöffneten Händen Almosen erheischte­n.

Und doch ist im selben ersten Wiener Gemeindebe­zirk – „I. Stadt“steht auf den Straßentaf­eln, von denen etliche zugleich mit den frisch gestrichen­en Hausfassad­en neu montiert wurden – ein Schwund von Geschäftsl­okalen feststellb­ar. Dem Zuviel an Bettlern steht ein zunehmende­s Minus an Läden gegenüber, und immer häufiger steht in den Auslagen das Wort „Sale“, bisweilen „Totaler Abverkauf“zu lesen. Einem Überfluss an Bettelei steht ein Mangel an Geschäften gegenüber. Ist das die Sorge der City? Hinzu kommen dann noch die immer häufigeren Demonstrat­ionen, die vor allem an Samstagen den Geschäftsg­ang stören.

Den Bettlern ist es egal. Sie ziehen sich am Abend wieder zurück.

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VON THOMAS CHORHERR

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