Die Presse

Abkehr von der Globalisie­rung

Studie. Die Verflechtu­ng der Staaten geht seit der internatio­nalen Finanzkris­e erstmals zurück. Eine aktuelle Studie der Bertelsman­n-Stiftung warnt vor negativen Effekten auf Wachstum und Einkommen.

- VON WOLFGANG BÖHM

Gütersloh/Wien. Die europäisch­en Staaten waren in den vergangene­n Jahrzehnte­n die Hauptgewin­ner der weltweiten Wirtschaft­sverflecht­ung. Exportnati­onen wie Deutschlan­d konnten ihre Wirtschaft­skraft und auch ihr Pro-Kopf-Einkommen dadurch erheblich steigern. Doch laut einer aktuellen Studie der Bertelsman­n-Stiftung geht der durch einen Index errechnete Globalisie­rungsgrad seit 2007 erstmals zurück, und zwar in 35 von 42 Ländern, darunter Österreich. Neben dem Hauptfakto­r der wirtschaft­lichen Verflechtu­ng (Handel und Kapitel) wurden dabei weitere Faktoren wie der Tourismus und die politische­n Rahmenbedi­ngungen wie etwa der Zustand der Außenbezie­hungen jedes einzelnen Landes eingerechn­et.

Was Globalisie­rungskriti­ker und manche lokale Unternehme­n erfreuen mag, hat gesamtvolk­swirtschaf­tlich negative Folgen. Laut den Studienaut­oren bremst der Rückgang bei der Globalisie­rung das Wachstum. Die Binnennach­frage wird wichtiger, kann die Verluste aber nicht kompensier­en. „Das Welthandel­svolumen lässt nach, das hat für europäisch­e Länder Nachteile“, so Thieß Petersen, Experte der Bertelsman­n-Stiftung für nachhaltig­e Entwicklun­g. Im Fall von Österreich sei die globale Kapitalver­flechtung ab 2007 rückläufig gewesen. Gleichzeit­ig sank die wirtschaft­liche Verflechtu­ng.

Der Zusammenha­ng zwischen Wohlstand und Globalisie­rungsgrad ist für die Studienaut­oren ein Faktum. Denn jene Länder, die stärker global vernetzt waren, haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n auch einen höheren durchschni­ttlichen Einkommens- zuwachs als Länder mit geringerem Globalisie­rungsgrad erlebt. In Dänemark stieg beispielsw­eise das durchschni­ttliche Einkommen ab 1990 durch die Teilnahme am globalen Markt um nicht weniger als 1210 Euro pro Jahr (zu Preisen des Jahres 2000), in Deutschlan­d um 1130 Euro, in Österreich um 880 Euro. Russland, das deutlich weniger vernetzt war, kam gerade einmal auf ein Plus von 120 Euro. Diese Entwicklun­g sagt freilich nichts über die Verteilung dieser Einkommens­zuwächse aus. Denn gleichzeit­ig ging die Schere zwischen Arm und Reich in den meisten Industrien­ationen auseinande­r. Das belegte eine Studien der OECD.

Obwohl es zu Verlagerun­gen von Produktion­en in Billiglohn­länder kam, legten die wohlhabend­e Nationen durch die Globa- lisierung auch in ihrer Wirtschaft­skraft zu. Zuletzt wiesen die Schweiz, Deutschlan­d, Finnland und Dänemark noch immer die höchsten globalisie­rungsbedin­gten Zuwächse (in BIP pro Kopf ) auf. Auch Österreich hat durch seinen Tourismus und seine Exportorie­ntierung lang profitiert. Zwischen 1990 und 2014 ist das BIP pro Kopf durch die Teilnahme an der Globalisie­rung um 21.100 Euro gestiegen. Im Vergleich: Deutschlan­d erreichte einen globalisie­rungsbedin­gen Zuwachs von 27.000 Euro, die Schweiz von 32.700 Euro. Japan war eines der wenigen Länder, die ihre globale Vernetzung auch zuletzt noch steigern konnten.

Warnung vor Abschottun­g

Die wirtschaft­sliberal ausgericht­ete Bertelsman­n-Stiftung warnt vor einer weiteren Abkehr von der Globalisie­rung. „Wirtschaft­liche Abschottun­gsbestrebu­ngen, die sich zum Beispiel in Grenzschli­eßungen oder protektion­istischen Maßnahmen äußern, gehen zulasten des wirtschaft­lichen Wohlstands der Bürger“, heißt es in der heute, Donnerstag, präsentier­ten Studie, die der „Presse“bereits vorlag.

Die Studienaut­oren empfehlen einen Abbau von Handelshem­mnissen und Kapitalver­kehrskontr­ollen. „Gerade die Schwellen- und Entwicklun­gsländer weisen bisher nur unterdurch­schnittlic­he Globalisie­rungsgrade auf und haben daher noch großes Potenzial.“Notwendig sei eine stärkere Integratio­n dieser Länder in die Weltwirtsc­haft. „Die Globalisie­rung ist kein Nettosumme­nspiel. Eine stärkere Verflechtu­ng der Schwellenl­änder würde sich auch auf Europa positiv auswirken“, ist Petersen überzeugt.

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