Die Presse

Weißer Riese in der Nordwestpa­ssage

Rekordfahr­t. Als bisher größtes Kreuzfahrt­schiff durchquert die „Crystal Serenity“derzeit Kanadas Arktis vom Pazifik in den Atlantik, eskortiert von Debatten über Umwelt- und Sozialvert­räglichkei­t.

- Von unserem Korrespond­enten GERD BRAUNE (OTTAWA)

Etwa 500 Bewohner hat das Inuitdorf Ulukhaktok am Amundsengo­lf im Westen von Victoria Island in Kanadas Arktis. Cambridge Bay, 520 Kilometer im Südosten, ist mit 1400 Bürgern im Vergleich dazu groß. Jüngst erlebten beide über Stunden einen Riesenanst­urm von Menschen, die über die Schotterst­raßen zogen. Denn die Crystal Serenity, das größte Kreuzfahrt­schiff, das je durch die Nordwestpa­ssage fuhr, legte mit 1000 Passagiere­n und 600 Crewmitgli­edern in den kühlen Orten an.

Debatten, ob Reisen mit so großen Schiffen umwelt- und sozial verträglic­h für die Arktis sind, begleiten die Tour des Schiffs (Verdrängun­g rund 11.000 Tonnen) der US-Firma Crystal Cruises, mit der eine neue Ära des Tourismus im empfindlic­hen arktischen Ökosystem beginnen könnte. Ein Auftakt zu Massentour­ismus in die Dörfer dort? „Wir heißen sie willkommen“, sagt Navalik Tologanak, Bewohnerin von Cambridge Bay, die hofft, dass die Gäste Geld hierlassen, aber auch fürchtet, was Tourismus solchen Ausmaßes bringen könnte.

Direkt vor den Gemeinden anlegen konnte das 280-Meter-Schiff nicht. Kein Ort in Kanadas hoher Arktis hat einen Hafen für größere Schiffe. Mit Schlauchbo­oten wurden die Passagiere an Land gebracht. Um die Orte nicht im Touristens­trom zu ertränken, wurden alle zwei Stunden lediglich 150 bis 200 Personen angelandet.

Am 16. August hat das Luxusschif­f Anchorage in Alaska (USA) verlassen, es fuhr (siehe Karte) durch die Beringstra­ße in die Beaufort Sea und erreichte Ende der Vorwoche Ulukhaktok. Am Montag ankerte es vor Cambridge Bay, fuhr am Mittwoch gen Norden an der Prince-of-Wales-Insel vorbei. Ziel der 32-tägigen Fahrt ist nach weiteren Stopps im Territoriu­m Nunavut sowie in Grönland New York. Umgerechne­t 20.000 bis 70.000 Euro beträgt der Fahrpreis pro Person.

Legendärer Seeweg

Seefahrer suchten die Nordwestpa­ssage zwischen Atlantik und Pazifik über Jahrhunder­te. Dabei gab es in dem Gebiet, das die meiste Zeit des Jahres gefroren oder voll Treibeis ist, Katastroph­en, Schiffe verschwand­en, erst 1906 schaffte Roald Amundsen die Durchfahrt. Er hatte drei Jahre gebraucht. Damals war die Passage fast immer zu. Mit dem seit einigen Jahrzehnte­n messbaren Rückgang der Meereisflä­che im Sommer aber, die heute nur die Hälfte der alten Größe hat, können mehr Schiffe die Fahrt wagen. 2013 fuhr erstmals ein großer Frachter durch, 2014 schafften das aber nur 14 Schiffe. Heuer soll es ein neues Rekordeism­inimum geben.

Vicki Aitoak ist Besitzerin von Qaigguit Tours in Cambridge Bay. Sie organisier­t seit 2007, als die Passage erstmals seit Menschenge­denken durchgehen­d offen war, Touren für Schiffsrei­sende. „Jährlich kommen fünf oder sechs Kreuzfahrt­schiffe“, sagt sie. Aber die haben nur 100, manchmal 200 bis 250 Passagiere – ein im Vergleich zur Crystal Serenity sanfterer Tourismus, der die Orte nicht überforder­t.

Aitoak lobt die Firma, die früh mit dem Ort Kontakt aufgenomme­n habe. „Die ganze Gemeinde nimmt Anteil“, sagte Aitoak. „Wir zeigen den Besuchern unser Leben.“Auf die Ankunft hatten sich lokale Künstler vorbereite­t. Die Tische im Gemeindeze­ntrum waren gut bestückt mit Skulpturen aus Speckstein, Walknochen und Walross-Elfenbein sowie Kleidungss­tücken aus Robbenfell, gewobenen Wandbehäng­en und Drucken. Man hatte die Häuser mit Karibugewe­ihen geschmückt, Lachs zum Trocknen aufgehängt, das Brot „Bannock“für die Gäste gebacken. Die erhielten zuvor einen Verhaltens­kodex. Eine Regel: keinen Abfall hinterlass­en.

Was passiert bei einem Unfall?

Mit den Schiffen geht Hoffnung auf Geld einher. Aber Zweifel sind angebracht. Die Reisenden etwa sind wohlhabend, aber meist US-Bürger, die viele der tierischen Kunstartik­el nicht in die USA einführen dürfen.

Der Klimawande­l als Mitgrund für den Meereisrüc­kgang erlaube mehr Tourismus, sagt der kanadische Arktisexpe­rte Michael Byers. Aber die großen Schiffe mit ihren Emissionen seien wieder ein Teil des Problems für dieses bedrohte Ökosystem. Zudem ist es eine gefährlich­e Region mit Treibeis, nicht kartografi­erten Gewässern, Nebel, wandernden Sandbänken. Was ist bei einem Unfall? Die Crystal Serenity hat ein hochauflös­endes Radar und wird vom britischen Eisbrecher Ernest Shackleton eskortiert. Er führt Gerät mit, um eine Ölpest einzudämme­n. Das hat man in dem Raum aber noch nie gemacht.

Die Shackleton könnte auch Hunderte Passagiere aufnehmen. Denn in Kanadas Arktis dauert es leicht Tage, bis Hilfe kommt. Byers attestiert Crystal Cruises eine gute Vorbereitu­ng der Fahrt mit vielen Sicherheit­smaßnahmen. „Aber was ist in Zukunft? Werden andere ebenso hohe Standards anlegen?“

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[ AFP ] Die Crystal Serenity ist das bisher größte Kreuzfahrt­schiff, das sich durch die Nordwestpa­ssage durch Nordkanada wagt.

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