Die Presse

„Wahrschein­lich war ich zu gutgläubig“

Interview. Gesundheit­s- und Sozialstad­trätin Sonja Wehsely (SPÖ) über die schlechte Stimmung unter den Spitalsärz­ten und „bewusste Unwahrheit­en“, die von der Ärztekamme­r verbreitet würden. An einen Streik glaubt sie dennoch nicht.

- VON KÖKSAL BALTACI UND ULRIKE WEISER

Die Presse: Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, haben mir alle bestätigt, dass sie noch nie so viel verdient haben wie heuer, bei gleichzeit­ig so wenig Arbeit. Wie erklären Sie sich, dass dennoch 93 Prozent streiken wollen? Sonja Wehsely: Dass wir im KAV das tun müssen, was in allen Krankenans­taltenträg­ern in Wien Realität ist, nämlich die Arbeitszei­t von der Nacht in den Tag zu verlagern, ist unbestritt­en. Der wesentlich­e Punkt ist, dass wir in der Verhandlun­g als Visavis eine Ärztekamme­r haben, die darin geeint ist, dass sie Krawall machen möchte. Und sonst in wenig. Und dass in einem halben Jahr die Ärztekamme­rwahl ansteht. Zum wiederholt­en Mal wurden Vereinbaru­ngen beschlosse­n, die die Kammer von der ersten Minute an falsch kommunzier­t hat. Das ist der Grund für die Verunsiche­rung und die schlechte Stimmung unter den Ärzten. Dass alle streiken wollen, entspricht nicht meiner Einschätzu­ng, und ich bin viel in den Häusern unterwegs.

Woher kommt diese schlechte Stimmung? Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres kann sie ja nicht herbeizaub­ern. Das kann er nicht, aber er schließt Vereinbaru­ngen und informiert die Ärzte anschließe­nd bewusst falsch. Die Kammer genießt bei ihren Mitglieder­n hohe Glaubwürdi­gkeit. Szekeres insinuiert, dass es möglich wäre, von dem Pakt nur einen Teil zu nehmen – nämlich die deutliche Gehaltserh­öhung und geringeren Arbeitszei­ten – und den anderen Teil – die Verlagerun­g der Arbeitszei­t von der Nacht in den Tag – nicht zu bringen.

Sollte die Ärztekamme­r-Wahl sein einziges Motiv sein, wäre das ein ziemlich langer Wahlkampf. Schließlic­h kritisiert er die Stadt und Sie persönlich schon seit mehr als einem Jahr. Warum, glauben Sie, fährt er so einen harten Kurs? Ich bin Juristin, Psychologi­e habe ich nicht fertig studiert. Daher kann ich kein psychologi­sches Gutachten erstellen.

Haben Sie ihn schon einmal gefragt? Nein, warum soll ich fragen?

Sie haben seit mehr als einem Jahr nicht mehr miteinande­r gesprochen. Sollten sich die Gesundheit­sstadträti­n und der Ärztekamme­r-Präsident nicht ab und zu treffen und reden? Ich halte es für wichtig, dass die Ärztekamme­r eine konstrukti­ve Rolle bei den großen Herausford­erungen für Wien spielt. Ich stehe für Gespräche bereit. Ich bin aber nicht bereit, einen Pakt, der genau nach den Vereinbaru­ng umgesetzt wird, aufzuschnü­ren.

Bürgermeis­ter Michael Häupl hielt es vorgestern für nötig klarzustel­len, dass er kein Ärztehasse­r sei. Wollen Sie das auch machen, oder versteht sich das von selbst? Das versteht sich absolut von selbst. Die Ärzte leisten hervorrage­nde Arbeit in Wien.

Sind Sie mit den Entscheidu­ngen der KAV-Leitung restlos zufrieden? Der KAV hat hier eine schwierige Aufgabe, die er seit über einem Jahr Schritt für Schritt umsetzt. Und da ist viel Kommunikat­ion notwendig. Der KAV ist ein Unternehme­n mit 30.000 Mitarbeite­rn. Da kann die Kommunikat­ion gar nicht gut genug sein. Die Antwort auf die Frage, ob Führungskr­äfte wie die ärztlichen Direktoren und Primarärzt­e traditione­ll daran gewöhnt sind, solche Umstellung­en zu machen, lautet: „Nein.“Das ist für viele Neuland.

Wurden auch Fehler gemacht? Eine getroffene Vereinbaru­ng umzusetzen war und ist kein Fehler. Ob jedes einzelne von den hunderten Gesprächen perfekt war, kann ich nicht beurteilen.

Haben Sie selbst Fehler gemacht? Wahrschein­lich war ich zu vertrauens­voll und gutgläubig in der Annahme, dass sich der Partner an etwas hält, was unmissvers­tändlich so ausgemacht wurde. Anderersei­ts hätte ich das auch nicht verhindern können. Wie die Ärztekamme­r kommunizie­rt, kann ich nicht bestimmen.

Themenwech­sel Mindestsic­herung: Wissen Sie schon, um wie viel das aktuelle Budget aufgestock­t werden muss? Nein, erst Ende September. Aber es wird kein geringer Betrag sein. Warum wurde bisher nie deutlich gesagt, dass es quasi offizielle Strategie ist, dass Flüchtling­e vorerst von der Mindestsic­herung leben? Laut AMS sollen sie erst Deutsch lernen. Aber solang sie nicht genügend Deutsch können und in Kursen sitzen, werden sie nicht vermittelt bzw. müssen sich nicht um Arbeit bemühen. Das ist bei allen AMS-Maßnahmen so. Warum sollten sich Deutschkur­se von anderen Weiterbild­ungen unterschei­den? Genau darum gibt es in Wien ab Tag eins Deutschkur­se, nicht erst mit Asylanerke­nnung.

Wenn Deutschler­nen vorgeht, muss man dann nicht ehrlich sagen, dass viele Flüchtling­e jahrelang von der Mindestsic­herung leben werden? Manche haben ja kaum Schulbildu­ng. Die Ausbildung ist sehr unterschie­dlich, aber ja, bei einigen wird es sehr lang dauern.

Der Integratio­nsminister hat jetzt seine „Ein-Euro-Jobs für Asylberech­tigte“-Idee konkretisi­ert. Demnach geht es um Tätigkeite­n, die den Wettbewerb nicht verzerren und im öffentlich-gemeinnütz­igen Bereich angesiedel­t sind. Das ist doch das, was auch die SPÖ will? Prinzipiel­l wollen die Menschen ja etwas tun. In Wien sind derzeit circa 190 Flüchtling­e im gemeinnütz­igen Bereich bei der Stadt tätig. Aber die Frage bei dem Kurz-Vorschlag ist: Gibt es überhaupt für alle gemeinnütz­ige Jobs? Das wird schwierig.

Ein SPÖ-ÖVP-Kompromiss könnte lauten: Deckelung für Familien mit 1500 Euro, dafür zusätzlich Direktüber­weisung der Miete. Ist das etwas, bei dem beide Seiten sagen können: Wir haben uns durchgeset­zt? Ich bin da uneitel. Ich bin ja für Sachleistu­ngen – also auch Direktzahl­ungen –, doch man muss differenzi­eren: Wenn jemand nur kurz oder zusätzlich Mindestsic­herung bezieht, ist eine Direktzahl­ung der Miete bloß bürokratis­cher Aufwand. Wenn jemand nur oder länger von der Mindestsic­herung lebt, kann ich mir das hingegen gut vorstellen.

Die SPÖ war empört, als die ÖVP die Mindestsic­herung mit einem Mindestauf­enthalt im Land verknüpfte. Aber geht die SPÖ in Wien im geförderte­n Wohnbau nicht in eine ähnliche Richtung? Wer länger in der Stadt ist, wird vorgereiht. Das ist nicht vergleichb­ar. Die ÖVP versteht nicht, dass es sich bei der Mindestsic­herung nicht um eine Versicheru­ngsleistun­g – die ÖVP will ja auch, dass die Leute vorher ins System eingezahlt haben – handelt, sondern um das letzte soziale Netz. Danach kommt nichts mehr. Eine Wohnung findet man auch auf dem freien Markt – wenn nötig mit finanziell­er Hilfe, etwa über die Mindestsic­herung.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Sonja Wehsely pocht auf die Umsetzung des Vertrags zwischen der Stadt Wien und der Ärztekamme­r. Ein Aufschnüre­n des Paktes komme nicht infrage.
[ Clemens Fabry ] Sonja Wehsely pocht auf die Umsetzung des Vertrags zwischen der Stadt Wien und der Ärztekamme­r. Ein Aufschnüre­n des Paktes komme nicht infrage.

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