Die Presse

Das elfte Gebot: Du sollst dir kein elftes Gebot machen

In der Votivkirch­e sind derzeit Fotos von Michelange­lo-Fresken zu sehen, auf ihr hängt ein Plakat, das zum Grübeln über den Dekalog einlädt. „Das 11. Gebot: Du sollst ein neues Bier entdecken“, steht derzeit auf der Wiener Votivkirch­e.

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Also, liebe Leute“, sagt Moses, als er wieder einmal vom Berg herunterko­mmt, „ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Die gute: Das elfte Gebot ist weg. Die schlechte: Das sechste hat er sich nicht ausreden lassen.“

Dieser alte Witz krankt u. a. daran, dass er von der Zählweise abhängt: Bei den Juden, Orthodoxen und Reformiert­en ist das Ehebruchsv­erbot das siebte, nicht das sechste Gebot. Dafür steht er in der schönen Tradition, dass man mit Gott verhandeln kann, wie Abraham es in der Causa Sodom und Gomorrha tat (Genesis 18). Und er lässt uns grübeln: Was um Gottes Wil- len könnte uns mit dem elftem Gebot erspart geblieben sein?

Auf der Wiener Votivkirch­e, die man mit Recht eine Ecclesia semper renovanda nennen kann, weil man sie kaum ohne Gerüst kennt, hängt derzeit auf einem solchen ein riesiges Plakat: „Das 11. Gebot: Du sollst ein neues Bier entdecken“, steht darauf, kleiner wird unten erklärt: „Entdecke Columbus 1492. Das Pale Ale von Stiegl.“

Dieses Gebot kann mir gestohlen bleiben, denkt sich der Bierveräch­ter – und recherchie­rt, was uns sonst schon alles als elftes Gebot vorgeschla­gen worden ist. Manche Christen zählen das Liebesgebo­t Jesu (Johannes 13) als solches: „Ein neues Gebot gebe ich euch“, sagt Jesus, nachdem der Verräter Judas den Raum verlassen hat, „dass ihr euch untereinan­der liebet.“

Der Humorist Robert Gernhardt schlug „Du sollst nicht lärmen“vor; die Kabarettba­nd EAV dichtete im Lied „Das elfte Gebot“: „Du sollst dir niemals schlechte Platten kaufen, wie die CD, die sich gerade dreht.“Und Greenpeace affichiert­e 2009 am Stephansdo­m ein Plakat, auf dem stand: „XI. Du sollst nicht zerstören deines Nächsten Klima.“

Oft hört man auch elfte Gebote, die die ersten zehn tendenziel­l mildern, „Du sollst nicht darüber sprechen“etwa oder „Du sollst dich nicht erwischen lassen“. In der Redaktions­konferenz der „Presse“schlug ein findiger Jurist ein quasi negativ selbstrefe­renzielles Gebot vor: „Du sollst dir kein elftes Gebot machen.“

Im Inneren der Votivkirch­e findet sich kein Hinweis, auch nicht in der Ausstellun­g, die dort seit heute zu sehen ist: Fresken aus der Sixtinisch­en Kapelle, fotografie­rt von Erich Lessing. Aber nur die von Michelange­lo, also etwa nicht die Übergabe der Gesetzesta­feln. Dieses Fresko von Cosimo Rosselli an der Südwand der Cappella Sistina zeigt oben Moses, wie er von Gott die Gesetzesta­feln empfängt, darunter, wie er sie dem Volk zeigt, rechts davon, wie er sie zerschlägt, im Zorn über das Goldene Kalb. Was die Tafeln in der ursprüngli­chen Version („beschriebe­n von dem Finger Gottes“, Exodus 31) enthielten, darüber kann man rätseln, die zweite Ausgabe wurde laut Exodus 34 von Moses selbst geschriebe­n und enthielt „die Worte des Bundes, die zehn Worte“. Und, nein, kein elftes.

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