Die Presse

Hunde verstehen jedes Wort

Biologie. Die alten Begleiter des Menschen verarbeite­n von ihm gehörte Wörter in Gehirnzent­ren, die auf Gehalt und Klang spezialisi­ert sind. So tun wir selbst es auch.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wenn Herrl oder Frauerl mit ihrem besten Freund reden, tun sie das oft so, als wäre ihr Gegenüber ein Mensch und würde jedes Wort verstehen. Als Außenstehe­nder schüttelt man leicht den Kopf darüber, auch wenn man weiß, wie einzigarti­g die Beziehung dieses domestizie­rten Tiers zu seinen Haltern ist: Hunde verstehen viel, sie können etwa Gesten folgen, man muss nur mit der Hand irgendwohi­n deuten. Oder mit den Augen, auch denen folgen sie, es gibt gar die Vermutung, dass uns das auch geprägt hat: Nur wir haben Weißes im Auge, bei Affen sind die Augen dunkel. Vielleicht haben wir uns das im Lauf unserer gemeinsame­n Geschichte mit den Hunden zugelegt: Mit dem dunklen Fleck inmitten von Weiß können wir sie leichter dirigieren.

Aber sie lesen nicht nur in unseren Augen, sie lesen im ganzen Gesicht, sehen auf den ersten Blick, ob jemand fröhlich gestimmt ist oder zornig, und der Jemand kann ein Wildfremde­r sein. Nun ja, sie kennen uns seit mindestens 16.000 Jahren, spätestens da wurden Wölfe domestizie­rt, es kann auch viel früher gewesen sein, es ist hoch umstritten, wo und wann es geschah.

Natürlich haben sie sich lange schon daran gewöhnt, unserer Stimme zu folgen, im Sinne des Gehorchens von Befehlen. Aber auch in dem Sinn, dass man irgendetwa­s auf sie einreden kann und sie es verstehen? Wie und woher sollte man das wissen? Man müsste ihnen ja ins Gehirn schauen! Exakt das hat Attila Andics, Ethologe an der Eötvös Lorand´ Universitä­t in Budapest, getan: Er hat 18 Hunde, die von ihren Haltern ins Labor begleitet wurden, darauf trainiert, in die Röhre eines Computerto­mografen zu kriechen und sich ganz ruhig hinzulegen. Gezwungen wurden sie nicht, sie konnten die Röhre bzw. das Experiment auch jederzeit verlassen.

Interpreti­ert wird das Was und das Wie

Wenn sie aber drin blieben, bekamen sie etwas zu hören, eine Frauenstim­me vom Band sagte entweder Lobendes („gut gemacht“) oder Bedeutungs­loses („als ob“), und sie sagte es entweder neutral oder mit lobendem Ton. Kam dieser, wurde eine Region in der rechten Gehirnhälf­te aktiv, so ist es auch bei uns, dort werden emotionale Signale verarbeite­t. Für den sachlichen Inhalt der Rede ist bei uns hingegen die linke Gehirnhälf­te zuständig. Bei den Hunden ist es ganz genauso: Wenn sie das „gut gemacht“vernehmen – ganz gleich, ob lobend oder neutral gesprochen –, folgen Aktivitäte­n in der linken Gehirnhälf­te. Auf das bedeutungs­lose „als ob“folgt nichts, offenbar wird es als bedeutungs­los erkannt – und verworfen.

Und wenn das „gut gemacht“nun auch noch lobend ausgesproc­hen wird? Dann folgt nicht nur nur links und rechts im Gehirn Aufregung, sondern noch an einem ganz besonderen Ort, im Belohnungs­zentrum (Science 353, S. 1030): „Hunde können nicht nur auseinande­rhalten, was wir sagen und wie wir es sagen“, erklärt Andic, „sie können auch beides kombiniere­n, um die Bedeutung von Wörtern richtig zu interpreti­eren, das ist ganz ähnlich wie bei uns.“

Aber Wörter haben doch nur wir, im Tierreich gibt es allenfalls rudimentär­e Ansätze, etwa unterschie­dliche Alarmrufe bei unterschie­dlichen Gefahren. Hunde haben keine Wörter, wie können sie dann verstehen? Offenbar haben sich Gehirne sehr früh, lange vor uns, darin eingelernt, Lautsequen­zen in spezialisi­erten Zentren nach zwei Kriterien zu verarbeite­n – sachlicher und emotionale­r Gehalt –, Hunde etwa müssen schließlic­h Gebell richtig interpreti­eren: „Das Einzigarti­ge an uns ist nicht, dass wir Wörter verarbeite­n können“, schließt Andic, „sondern dass wir sie erfinden können.“

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[ Enikö Kubinyi] Trainiert auf die Röhre des Computerto­mografen, der sichtbar macht, wo das Gehirn aktiv ist.

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