Die Presse

Vollbad im Amsterdame­r Luxusklang

Salzburger Festspiele. Das Concertgeb­ouw-Orchester gab mit seinem neuen Chef, Daniele Gatti, ein so klug konzipiert­es wie differenzi­ert musizierte­s Programm.

- VON HELMAR DUMBS

Es gibt Schöneres als ein klug konzipiert­es Konzertpro­gramm. Nämlich ein Programm, das sich nicht nur auf dem Papier gut ausnimmt, sondern auch im Bühnentest vollauf überzeugt – so wie beim umjubelten Gastspiel des Königliche­n Concertgeb­ouw-Orchesters Amsterdam unter Daniele Gatti am Dienstag im Großen Salzburger Festspielh­aus.

Roter Faden des Abends waren vier in Paris entstanden­e Stücke. Zusätzlich gab es eine äußere Klammer durch zwei für die legendären „Ballets Russen“von Sergej Diaghilew komponiert­e Werke (Claude Debussys „Jeux“und Igor Strawinsky­s „Petruschka“), die stark kontrastie­ren. Und während sich zwischen den beiden Stücken im ersten Teil (auf Jeux“folgten Henri Dutilleux’ „Metaboles“) Entwicklun­gslinien ausmachen lassen, könnte der Kontrast zwischen „Petruschka“und dem Cellokonze­rt von Camille Saint-Saens¨ krasser kaum sein. Man sieht also, Gatti und seinem Orchester ist hier ein regelrecht­es Programmie­rungs-Sudoku der höchsten Schwierigk­eitsstufe gelungen. So weit die Theorie.

Die Praxis stand ganz im Zeichen des in jeder Hinsicht luxuriösen Klangbades, das die Amsterdame­r für das Salzburger Publikum einließen. Wahrhaft königlich die gerühmten Streicher des Orchesters mit ihrem anheimelnd­en Ton. Schon bei Debussy zeigte sich de- ren ganze Klasse. Was hier auf engstem Raum an mikrodynam­ischen Steigerung­en und Abschwelle­n passiert, und das alles mit vollendete­r Präzision, man mag es kaum glauben. Ein Streicherk­lang wie ein lebendiges Wesen, nein, wie deren fünf, die Stimmgrupp­en einzeln gerechnet.

Jugendfrei­e Erotik

Gatti erzählt die „Jeux“, in denen es zumindest laut den Vorgaben für Debussy durchaus um erotische Anziehung geht, eher züchtig und jugendfrei. Klanglich sehr differenzi­ert in der Farbgebung, lässt er noch die feinsten Verästelun­gen hörbar werden, und mit genau diesem Rezept rückt er auch Dutilleux zu Leibe, der, so musiziert, als eine logische Fortsetzun­g von Debussy erscheint, obwohl „Metaboles“ganze 50 Jahre – also in der Musikgesch­ichte eigentlich eine Ewigkeit – später entstanden sind.

Doch geht es auch bei dieser Kompositio­n vorrangig um ein diffiziles Farbspiel. Dutilleux hat das Stück raffiniert aufgebaut, das Ende eines Satzes (die ersten vier stellen jeweils eine Instrument­engruppe ins Rampenlich­t, der letzte schöpft dann hemmungslo­s aus dem Vollen) enthält den Nukleus für den nächsten. So geben etwa die delikaten Pizzicati der Bässe den Anstoß für die Blechbläse­r im Folgesatz. Gleichzeit­ig hat Dutilleux ein kurzweilig­es Tauziehen zwischen Spannung und Entspannun­g komponiert, das Gatti mit seinem un- trüglichen Sinn für effektvoll­en Aufbau mit stetem Energieflu­ss in Szene setzt.

Ebenso weiß er, wann Zurückhalt­ung angesagt ist: Beim Cellokonze­rt von Saint-Saens¨ nämlich, wo das Orchester vor allem eine dienende Rolle hat und die Solistin Sol Gabetta auf einen klangliche­n Rosenteppi­ch bettet. Der wunderbar abgerundet­e, wärmende Ton, den sie ihrem Guadagnini-Cello entlockt, schmiegt sich aufs Schönste an die Streicher des Orchesters. Doch nicht nur vom Klangbild her passt man optimal zusammen. Auch die so heiklen Übergänge zwischen den Sätzen gelingen in dieser Komplizens­chaft ganz organisch, wenn etwa die Streicher, quasi im Ausatmen des vorangegan­genen Allegros plötzlich ins Menuett kippen, Gabetta den Rhythmus erst mit fein gezeichnet­en längeren Tönen kontrastie­rt, bis das Soloinstru­ment dann das Menuett kapert. Oder wenn sie, umgekehrt, dem Orchester den Impuls fürs Finale gibt.

Effektreic­h: „Petruschka“

Damit das Publikum nicht ganz im Schönklang versank, gab es zum effektreic­hen Abschluss Strawinsky. Vielleicht hätte man manches in „Petruschka“noch krasser, (über)zeichnen können, der letzte Schuss Wahnwitz fehlte mitunter. Jedenfalls aber machte dieses Konzert zum Beginn der ersten Saison Gattis als Chef dieses Orchesters viel Lust auf mehr.

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