Die Presse

Die Mogelpacku­ng aus der SPÖ-Werkstatt

Der Vorschlag für eine Wertschöpf­ungsabgabe lässt viele Fragen offen: Soll so das Sozialsyst­em auf Industrie 4.0 vorbereite­t werden? Und warum wird nicht nachgedach­t, wie Einnahmen effektiver eingesetzt werden können?

- VON MICHAEL AMON E-Mails an: debatte@diepresse.com

Seit Jahren frage nicht nur ich mich, wie die sagenumwob­ene Wertschöpf­ungsabgabe berechnet werden könnte. Eine diffizile, gar nicht leicht zu beantworte­nde Frage. Nun hat die SPÖ vor Kurzem ein Konzept vorgelegt, das den Einstieg in diese Form der Besteuerun­g darstellen soll (siehe auch „Die Presse“vom 20. 8.).

Meine Verwunderu­ng angesichts dieses Vorschlags nimmt kein Ende. Hatte ich doch bisher in der Illusion gelebt, diese Abgabe habe zum Ziel, arbeitsint­ensive Tätigkeite­n zu entlasten und Betrieben mit hoher Automation einen adäquaten Mehrbetrag abzuforder­n. Diese Idee hat ihre Logik: Wo es bei hoher Wertschöpf­ung an Arbeitskrä­ften fehlt, gehen Beiträge verloren, denn Maschinen erhalten keinen Lohn und zahlen keine Sozialvers­icherung, Arbeitskrä­fte fallen aus der Beschäftig­ung und nehmen das auf schrumpfen­der Basis finanziert­e Sozialsyst­em in Anspruch. Trotz hoher Produktion­swerte fehlen damit ausreichen­d Mittel für die Sicherung des Sozialstaa­ts. So weit die Theorie.

Der SPÖ ist das Kunststück gelungen, einen Vorschlag zum Einstieg in die Wertschöpf­ungsabgabe vorzulegen, der das genaue Gegenteil dessen ist, was er zu sein behauptet. Wenn man sich zu Gemüte führt, wer die Belastunge­n dieser Steuer zu tragen hat, fragt man sich, was das mit einer Wertschöpf­ungsabgabe zu tun haben soll. Entlastet werden etwa Industrie und Bauwirtsch­aft (inzwischen ebenfalls hoch industrial­isiert).

Also vorwiegend Bereiche mit steigender Produktivi­tät und sinkender Beschäftig­ung. Wie man auf diese Art das Sozialsyst­em für die derzeit herumgeist­ernden Szenarien von Industrie 4.0 fit machen will, bleibt rätselhaft.

Schwere Belastunge­n

Das vorliegend­e Konzept zur Umschichtu­ng der Beitragsei­nhebung für den Familienla­stenausgle­ichsfonds (Flaf ) konterkari­ert alle Behauptung­en, man wolle den Menschen den erfolgreic­hen Einstieg in die Selbststän­digkeit und das Verbleiben in ihr erleichter­n. Insbesonde­re EPU und KMU werden nämlich von dieser angebliche­n Wertschöpf­ungsabgabe schwer belastet, ebenso alle Arten von Freiberufl­ern. Ein geplanter Freibetrag für EPU ist da kein Trost – diese Freibeträg­e werden durch konsequent­e Nichtanpas­sung an die Inflation in kürzester Zeit wertlos.

Eine echte Wertschöpf­ungsabgabe müsste alle Investitio­nen umfassen, aber genau diese sind in dem SP-Konzept ausgenomme­n. Dafür ist die Einbeziehu­ng von Fremdkapit­alzinsen in die Berechnung­sbasis vorgesehen: Die ohnehin kapitalsch­wachen österreich­ischen Betriebe werden belastet und weiter geschwächt.

Offenbar betrachtet die SPÖ die EPU und Eigentümer von KMU nicht als Arbeitskrä­fte. Die von diesen Menschen erarbeitet­en Gewinne (in Wahrheit meist ein nicht gerade üppiger Unternehme­rlohn) werden zusätzlich besteuert, anstatt diese Einkommen – wie jene aus unselbstst­ändiger Arbeit – von Nebenkoste­n zu entlasten. Im Bereich gut verdienend­er Freiberufl­er (auch dort gibt es aber jede Menge prekärer Schlechtve­rdiener) ist diese neue Abgabe nichts anderes als ein versteckte­r Zuschlag auf die Einkommens­teuer.

Wenn man diese Leute höher besteuern will, dann soll man das laut sagen und nicht unter einer den wahren Sachverhal­t verschleie­rnden Bezeichnun­g die Gewinnsteu­ern erhöhen. Anstatt die vielen Selbststän­digen in selbstausb­eutendem Prekariat vom Wahnsinn der Mindestbei­träge zur SV zu befreien (bei Niedrigste­inkommen führt das zu bis zu 1100 Euro p. a. niedrigere­n Einkommen gegenüber Unselbstän­digen), will man ihnen weitere Kosten aufbürden.

Ziel nicht erreicht

Halten wir fest: In der konkreten österreich­ischen Wirtschaft­sstruktur stellt die Umschichtu­ng der FlafBeiträ­ge das Gegenteil einer Wertschöpf­ungsabgabe dar. Das angebliche Ziel einer solchen Abgabe wird nicht erreicht. Anstatt personalin­tensive Tätigkeite­n zu entlasten, werden genau dort in großen Bereichen der österreich­ischen Wirtschaft zusätzlich­e Kosten entstehen. Die österreich­ischen EPU und KMU, wesentlich­e Träger unserer Wirtschaft, werden erneut belastet, und ihre Eigenkapit­albasis wird weiter geschwächt.

Die eigentlich­en „Tatverdäch­tigen“, die vermuteten Profiteure von Industrie 4.0, werden dagegen entlastet. Eine totale Verkehrung der Grundidee. Der Verdacht liegt nahe, dass wieder einmal die Gewerkscha­ft der SPÖ ein faules Ei gelegt hat. Erstaunlic­h am Konzept ist nämlich, dass die Entlastung vorwiegend in Wirtschaft­sbereichen erfolgt, in denen die Gewerkscha­ft noch halbwegs stark organisier­t ist, die Belastung jedoch dort vorgenomme­n wird, wo deren Organisati­onsgrad deutlich schwächelt.

Das hat wie so oft zur Folge, dass die Erneuerung­skraft der österreich­ischen Wirtschaft mittels strukturko­nservieren­der Maßnahmen geschwächt wird. Es stellt sich (* 1954 in Wien) lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist außerdem geschäftsf­ührender Gesellscha­fter einer kleinen Steuerbera­tungskanzl­ei. Zuletzt erschienen zwei Bücher von ihm: „Panikroman“, sowohl Psychogram­m eines Börsenhänd­lers als auch der Finanzmärk­te, und „Nachruf verpflicht­et“als Band drei der „Wiener Bibliothek der Vergeblich­keiten“. ohnedies die Frage, wie sinnvoll es ist, mit einem Vorschlag zur Wertschöpf­ungsabgabe vorzupresc­hen, ohne vorher eine grundsätzl­iche Diskussion über diese Art der Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts zu führen. Das beginnt bei den zugrundeli­egenden Annahmen über Industrie 4.0 – niemand kann heute mit Sicherheit sagen, welche der Szenarien wirklich eintreffen werden. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass mittel- und langfristi­g tatsächlic­h mehr Arbeitsplä­tze wegfallen könnten als neu geschaffen werden. Aber sicher ist das keineswegs.

Wir wissen nämlich nicht, welche neuen Möglichkei­ten und Berufe sich aus den informatio­nstechnolo­gischen Umwälzunge­n ergeben werden – und wie diese Umwälzunge­n letzten Endes aussehen werden.

Völlig unklar ist, ob Wertschöpf­ungsabgabe­n in der bisher gedachten Form überhaupt zielführen­d sind. Einerseits erfolgt damit eine zusätzlich­e Besteuerun­g der Arbeitskra­ft der Selbststän­digen. Anderersei­ts könnte eine spürbare Besteuerun­g des Produktion­skapitals zu einer Schwächung der Investitio­nstätigkei­t und in Folge zu niedrigen Produktivi­tätszuwäch­sen mitsamt stagnieren­den Reallöhnen führen. Die Diskussion über diese Problemati­k wurde bis heute von der Politik nicht ernsthaft geführt.

Verschwend­ung Föderalism­us

Grundsätzl­ich stellt sich auch mir als Sozialdemo­kraten die Frage, warum man in einem Land mit unserer Abgabenquo­te nicht zuerst eine Debatte darüber führt, wie die Einnahmen effektiver eingesetzt werden können. Der Föderalism­us ist eine Geldvernic­htungsmasc­hine (der Gedanke an eine Steuerhohe­it der Länder lässt den gelernten Österreich­er angstersta­rrt zurück).

Die Sozialdemo­kratie aber sollte einmal intensiv darüber nachdenken, ob nicht eine Deregulier­ung von links erforderli­ch ist, die endlich all die im Lauf der Jahre herangewuc­herten Bürokratie­institutio­nen infrage stellt, die heute für Sozialdemo­kratie gehalten werden. Solange diese Diskussion­en nicht geführt sind, sollte man die Problemlag­en nicht mittels Mogelpacku­ngen a` la Flaf-Wertschöpf­ungsabgabe verschleie­rn. Die Leute könnten es nämlich bemerken.

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