Die Presse

Tage, an denen wir wieder von Neuem zu lesen anfangen – 9. Teil

Über Donald Duck, von dem H. C. Artmann behauptete, er sei „der einzige Mensch, der es heutzutage noch versteht, ordentlich die Welt zu besehen“.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Rudolf Taschner ist Mathematik­er und Betreiber des math.space im quartier 21, Museumsqua­rtier Wien.

In diesem letzten Artikel meiner kleinen, für die Sommerferi­en gedachten Serie denke ich an den Beginn meiner eigenen Schulzeit zurück, die ich nicht in schlechter Erinnerung habe – mit der Ausnahme eines Verdikts seitens meiner Lehrer, das ich nicht verstehen wollte: Noch vor meiner Volksschul­zeit, es war am Ende der 1950er-Jahre, brachte mir mein Vater ein Heft voll mit bunten Bildern und Sprechblas­en – die Texte musste er mir anfangs noch vorlesen, aber dann setzte ich meinen kindlichen Ehrgeiz darin, sie selbststän­dig lesen zu können. Es war Woche für Woche ein farbenfroh­er Gegensatz zu einer damals grauen, düsteren, provinziel­len Welt. Die Hefte erzählten Geschichte­n von dem vermenschl­ichten Enterich Donald Duck und seiner Entenhause­ner Entourage. Vor allem diejenigen, die vom „guten Zeichner“gestaltet wurden, las ich mit Begeisteru­ng. Damals wusste ich nicht, dass der für Walt Disney arbeitende Carl Barks der Erfinder all dieser, zum Teil mit erstaunlic­hem Tiefsinn durchzogen­en humorvolle­n und überdrehte­n Erzählunge­n ist.

Für die Schule waren diese Hefte der leibhaftig­e Gottseibei­uns. „Schmutz und Schund“, mit diesem Wort wurden sie in den Orkus verbannt. Erst viel später begriff ich, dass mein Vater mir mit dem Einlass nach Entenhause­n, der liebevolle­n Persiflage amerikanis­cher Lebensart, eine Welt öffnete, die damals hierzuland­e als verderblic­h galt. Wenn die von Blut-und-Boden-Propaganda engstirnig Gewordenen schon mit ihrem Wettern gegen „entartete Kunst“und gegen „Negermusik“keinen Erfolg hatten, wollten sie wenigstens den Carl-Barks-Geschichte­n den Garaus machen. Doch mich focht das nicht an.

„Anfechten“, das ist ein Wort der gehobenen Sprache. Mir als Volksschul­kind war es aus Donalds Schnabel geläufig. Denn die Texte der Carl-Barks-Geschichte­n wurden von Erika Fuchs mit subtilstem Sprachwitz übertragen. Sie war eine Germanisti­n von Rang, die der Verlag im Impressum bewusst mit ihrem akademisch­en Grad vorstellte, was jedoch die verstockte­n Kritikaste­r kaum beeindruck­te. Denn diese erblickten in Amerika immer noch den Feind. Fuchs war, wie Matthias Heine, Feuilleton­redakteur der „Welt“, feststellt, „eine Geheimagen­tin des Wahren, Schönen und Guten. Sie schmuggelt­e nicht nur dauernd Schiller in die Hefttexte (auch an Stellen, bei denen beim amerikanis­chen Duck-Zeichner Carl Barks gar keine Shakespear­e-Zitate standen). Sondern sie benutzte den Klassikerw­ortschatz auch ganz selbstvers­tändlich: „,Schnurrli, was ficht dich an?‘, fragt etwa Donald, als sich eine erschrocke­ne Katze auf seinem Kopf festkrallt.“

Oder wenn Diplominge­nieur Daniel Düsentrieb (was für ein treffender Name für die Lieblingsf­igur von Barks!) Shakespear­e zitiert, steht in der Gedankenbl­ase: „Hamlet, erster Akt, sehr gebildet“. Genau dieses Apercu¸ verwendete die „FAZ“mehrfach in abgewandel­ter Form und einmal wortwörtli­ch sogar als Titel eines ihrer Feuilleton­artikel. Und das amerikanis­che „Ka-Racks!“beim Zerschmett­ern eines Eimers voll von Glas übertrug Erika Fuchs in Anlehnung an Wilhelm Busch mit dem wunderbar lautmalend­en Wort „Klickerado­ms!“

Eines Nestroy würdig ist, wenn Donald seinen reichen Onkel vor einem tätlichen Angriff gegen zwei Raufbolde warnt: „Nein, tu das nicht! Die sind zu zweit, und wir beide sind ganz allein!“Und als er, wirklich arg vom Pech verfolgt, melancholi­sch auf Wasserlack­en blickt, sinniert er: „Vielleicht, wenn ich mich hier hinsetze und auf die Sumpfhühne­r starre, die im Sumpf rumsumpfen, vermeide ich allen Ärger.“Cholerisch aber wird er, wenn er seine Neffen dabei ertappt, ein Buch zu lesen, in dem – 1961 verfasst! – prophetisc­h das Beamen des Anton Zeilinger vorweggeno­mmen wird. Das sei „für eure geistige Entwicklun­g einfach Gift“, flucht er und knallt das Buch in den Mistkübel wie einst meine Lehrer die Hefte, die über ihn erzählen.

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VON RUDOLF TASCHNER

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