Die modernen Rattenfänger von Hameln
Wie kann man dem wachsenden Populismus Paroli bieten?
Eine bunte Gestalt verspricht die Befreiung von einer Plage, die Bürger sind anfangs euphorisch, wollen dann aber den Preis nicht begleichen. Schließlich verschwindet der „Retter“auf Nimmerwiedersehen, nicht ohne ein ungleich höheres Preisgeld mitzunehmen. Diese Schlüsselelemente aus dem Rattenfänger von Hameln finden man heute nur allzu oft – erschreckenderweise nicht in Sagen, sondern in den Medien. Bunt sind die Rattenfänger von heute alle auf ihre Art. Ihre Flötenmelodie ist das eine Mal leiser, das andere Mal lauter, immer aber getragen von einem simplen Ohrwurmrefrain.
Da wäre einmal Boris Johnson, exzentrisch, spitzbübisch laut. Er versprach die Briten zu retten, von den Deutschen, dem Identitätsverlust, dem Steuergeldraub durch die EU. Großbritannien stimmte für den Brexit, in Sunderland (Wales) waren es 61 Prozent, und auch in der Region Cornwall gab es einen klaren Sieg der EU-Gegner. Johnson hatte kein Konzept, wie es nun weitergehen sollte, hinterließ verbrannte Erde, verschwand von der politischen Bildfläche – kehrte aber dann als Außenminister wieder.
Sunderland zittert nun, dass Nissan, Arbeitgeber für 6700 Menschen in der Region, diesen Standort schließen wird. Fatal nicht nur für die Beschäftigten in diesem Werk, sondern auch für alle rundum profitierenden Betriebe, wie Hotels und Restaurants. In Cornwall herrscht Katerstimmung über rund 70 Millionen EU-Förderung, auf die die Region künftig wahrscheinlich verzichten muss.
Dann ist da Donald Trump, geföhnter, polternder Milliardär, selbst ernannter Held der Arbeiterklasse. Er gelobt Amerika vor Fremden, dem Islam, der Globalisierung zu schützen, die Mittelschicht vor dem Schrumpfen zu bewahren, die USA wieder zur Nummer eins der Welt zu machen. Die Republikaner haben ihn zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gemacht, nun wünscht ein großer Teil, sie hätten die Büchse der Pandora nie geöffnet. Es wäre nicht verwunderlich, würde er im letzten Moment noch einen Rückzieher machen. Denn undurchführbare politische Versprechen und Maßnahmen umzusetzen ist bekanntlich nicht so einfach.
Marine Le Pens rechtspopulistische Heilsbotschaft ist die Rettung des französischen Volkes vor der Diktatur der EU und der Islamisierung. Norbert Hofer setzt auf eine Stammtisch-Volksmusik-Flötenmelodie mit emotional-populistischem Refrain: „Deine Heimat braucht dich jetzt“, „Das Recht geht vom Volk aus“. Er gelobt, Österreich vor der Völkerwanderung und den EU-Schulden zu retten und dem kleinen Land wieder Respekt in der Weltpolitik zu verschaffen.
Das Ganze mit null Erfahrung auf dem internationalen politischen Parkett und ohne wirtschaftspolitisches Reformprogramm oder Wirtschaftskompetenz. Letztere ist der FPÖ seit der Abwanderung des liberalen Flügels völlig verloren gegangen. Bestes Beispiel dafür sind widersprüchliche Parolen wie „Steuern senken und Renten erhöhen, ohne dabei Schulden zu machen“.
Realitätsfern und unwahr
Egal, wie realitätsfern, unwahr oder undurchführbar die Refrains der Rattenfänger sind, immer mehr singen sie nach und folgen ihnen. Was einfach klingt, emotional und in der Sprache des Volkes formuliert ist und mit lauter, populistischer Überzeugung vorgebracht wird, wird selten hinterfragt.
Solang die wahren Parteien der Vernunft nicht lernen, die Sorgen des Volkes ernst zu nehmen und in einen ehrlichen Dialog mit den Bürgern zu gehen, solange sie nicht den Mut zu nötigen, teilweise schmerzhaften Reformen aufbringen und vermeiden, klar Stellung zu beziehen, so lang haben die Rattenfänger leichtes Spiel. Das Volk selbst kann sich nur dadurch schützen, dass es seine Faulheit, selbst zu denken und zu hinterfragen, endlich ablegt und wieder mündig wird.