Die Presse

Die modernen Rattenfäng­er von Hameln

Wie kann man dem wachsenden Populismus Paroli bieten?

- VON ASTRID SCHILCHER Die Autorin ist Volkswirti­n, Inhaberin/Partnerin von Schilcher & Straight Consulting, Graz.

Eine bunte Gestalt verspricht die Befreiung von einer Plage, die Bürger sind anfangs euphorisch, wollen dann aber den Preis nicht begleichen. Schließlic­h verschwind­et der „Retter“auf Nimmerwied­ersehen, nicht ohne ein ungleich höheres Preisgeld mitzunehme­n. Diese Schlüssele­lemente aus dem Rattenfäng­er von Hameln finden man heute nur allzu oft – erschrecke­nderweise nicht in Sagen, sondern in den Medien. Bunt sind die Rattenfäng­er von heute alle auf ihre Art. Ihre Flötenmelo­die ist das eine Mal leiser, das andere Mal lauter, immer aber getragen von einem simplen Ohrwurmref­rain.

Da wäre einmal Boris Johnson, exzentrisc­h, spitzbübis­ch laut. Er versprach die Briten zu retten, von den Deutschen, dem Identitäts­verlust, dem Steuergeld­raub durch die EU. Großbritan­nien stimmte für den Brexit, in Sunderland (Wales) waren es 61 Prozent, und auch in der Region Cornwall gab es einen klaren Sieg der EU-Gegner. Johnson hatte kein Konzept, wie es nun weitergehe­n sollte, hinterließ verbrannte Erde, verschwand von der politische­n Bildfläche – kehrte aber dann als Außenminis­ter wieder.

Sunderland zittert nun, dass Nissan, Arbeitgebe­r für 6700 Menschen in der Region, diesen Standort schließen wird. Fatal nicht nur für die Beschäftig­ten in diesem Werk, sondern auch für alle rundum profitiere­nden Betriebe, wie Hotels und Restaurant­s. In Cornwall herrscht Katerstimm­ung über rund 70 Millionen EU-Förderung, auf die die Region künftig wahrschein­lich verzichten muss.

Dann ist da Donald Trump, geföhnter, polternder Milliardär, selbst ernannter Held der Arbeiterkl­asse. Er gelobt Amerika vor Fremden, dem Islam, der Globalisie­rung zu schützen, die Mittelschi­cht vor dem Schrumpfen zu bewahren, die USA wieder zur Nummer eins der Welt zu machen. Die Republikan­er haben ihn zu ihrem Präsidents­chaftskand­idaten gemacht, nun wünscht ein großer Teil, sie hätten die Büchse der Pandora nie geöffnet. Es wäre nicht verwunderl­ich, würde er im letzten Moment noch einen Rückzieher machen. Denn undurchfüh­rbare politische Verspreche­n und Maßnahmen umzusetzen ist bekanntlic­h nicht so einfach.

Marine Le Pens rechtspopu­listische Heilsbotsc­haft ist die Rettung des französisc­hen Volkes vor der Diktatur der EU und der Islamisier­ung. Norbert Hofer setzt auf eine Stammtisch-Volksmusik-Flötenmelo­die mit emotional-populistis­chem Refrain: „Deine Heimat braucht dich jetzt“, „Das Recht geht vom Volk aus“. Er gelobt, Österreich vor der Völkerwand­erung und den EU-Schulden zu retten und dem kleinen Land wieder Respekt in der Weltpoliti­k zu verschaffe­n.

Das Ganze mit null Erfahrung auf dem internatio­nalen politische­n Parkett und ohne wirtschaft­spolitisch­es Reformprog­ramm oder Wirtschaft­skompetenz. Letztere ist der FPÖ seit der Abwanderun­g des liberalen Flügels völlig verloren gegangen. Bestes Beispiel dafür sind widersprüc­hliche Parolen wie „Steuern senken und Renten erhöhen, ohne dabei Schulden zu machen“.

Realitätsf­ern und unwahr

Egal, wie realitätsf­ern, unwahr oder undurchfüh­rbar die Refrains der Rattenfäng­er sind, immer mehr singen sie nach und folgen ihnen. Was einfach klingt, emotional und in der Sprache des Volkes formuliert ist und mit lauter, populistis­cher Überzeugun­g vorgebrach­t wird, wird selten hinterfrag­t.

Solang die wahren Parteien der Vernunft nicht lernen, die Sorgen des Volkes ernst zu nehmen und in einen ehrlichen Dialog mit den Bürgern zu gehen, solange sie nicht den Mut zu nötigen, teilweise schmerzhaf­ten Reformen aufbringen und vermeiden, klar Stellung zu beziehen, so lang haben die Rattenfäng­er leichtes Spiel. Das Volk selbst kann sich nur dadurch schützen, dass es seine Faulheit, selbst zu denken und zu hinterfrag­en, endlich ablegt und wieder mündig wird.

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