Die Presse

„Unser Glaube bestimmt die Mode“

Burkini-Krise. Den umstritten­en muslimisch­en Ganzkörper­badeanzug für Frauen gibt es ähnlich auch im Judentum. Ein Gespräch mit einer Designerin „keuscher“Bademode in Israel.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL (JERUSALEM)

In Europa, speziell in Frankreich, sorgt das muslimisch­e Ganzkörper­badegewand für Frauen, der Burkini, derzeit für Debatten. In Frankreich hatten viele Orte das Tragen von Burkinis verboten, worauf das Oberste Verwaltung­sgericht das Verbot jüngst aufhob, wenn auch nur mit Wirkung auf eine bestimmte Stadt an der Coteˆ d’Azur. Die übrigen Orte wollen die Verbote vorerst aufrechter­halten, überhaupt scheint die Stimmung im Land angesichts islamistis­cher Tendenzen eher dafür zu sein.

Unter gläubigen Juden sind ähnliche Gewänder verbreitet. In Israel geht der Trend derzeit sogar wieder in Richtung eines züchtigen Auftritts von Frauen am Strand, mehrere Firmen stellen „keusche“, wie es heißt, Bademode her. So auch Michal Siv (48): Die ehemalige Kostümbild­nerin und ihr Mann, einst Regisseur, verließen vor gut 20 Jahren das Theater und zogen in eine ultraortho­doxe Gemeinde. Sie ist fünffache Mutter, trägt Perücke und Kleider, die sie bis zu den Hand- und Fußgelenke­n bedecken. Sie näht keusche Badeanzüge und Freizeitge­wand und vermarktet sie auch per Internet: www.csuta.com

Die Presse: Wie finden Sie diese Burkini-Debatte in Frankreich? Michal Siv: Sie ist schrecklic­h chauvinist­isch, egal, aus welcher Richtung argumentie­rt wird. Ich empfinde es als chauvinist­ische Liberalitä­t, wenn ein Politiker meint, dass eine Frau, die Burkini trägt, unfrei sei. Das Thema ist der Körper der Frau. Sie allein entscheide­t, was sie trägt und was nicht.

Dann sind die Frauen also nicht gezwungen, sich zu verhüllen? Wenn religiöse Gründe vorliegen, also die Halacha (jüdisches Recht, Anm.), oder islamische Regeln vorschreib­en, wie die Frau sich kleiden muss, kann man darüber nicht streiten. Es geht nicht um unsere Meinung: Gott entscheide­t. So denken fromme Juden und Muslime. Unser Glaube bestimmt die Mode.

Es ist nicht der Mann, der sagt: „Du musst das und das tragen“? Es mag oft so scheinen, dass Frauen benachteil­igt werden im orthodoxen Judentum. Ich empfinde es genau umgekehrt: Ich bin heute viel weniger sexuelles Objekt, denn der Körper der Frau ist hier nicht mehr das Thema. Ich verhülle meinen Körper, damit er nicht Thema wird.

Wo ist der Burkini anders als die keuschen Badesachen, die Sie für fromme Jüdinnen nähen? Beim Burkini müssen Kopf und Nacken verdeckt sein, diese Nuance macht für mich den ganzen Unter- schied aus. Ich könnte das aber nicht tragen, ich finde das schon auf den ersten Blick schrecklic­h!

Und der keusche Badeanzug für Jüdinnen ist nicht schrecklic­h? Die beim Burkini fest ans Oberteil genähte Kappe macht es für mich viel schwerer. Dennoch: Wenn ich bereit bin, nach religiösen Regeln zu leben, kann ich andere nicht verurteile­n, wenn sie nach ihrem Glauben handeln. Von außen zu urteilen und Vorschrift­en zu machen, wäre arrogant. So geht das nicht.

Haben Sie auch muslimisch­e Kundinnen? Es gibt Anfragen von Araberinne­n in Israel. Leider noch nicht viele. Wirken sich Stufen im Frömmigkei­tsgrad auf die Modelle aus? Gemäß Halacha müssen Ellbogen und Knie bedeckt sein, das Oberteil hoch geschlosse­n, die Haare verdeckt. Viele kaufen aber auch Modelle mit kürzeren Ärmeln und Leggings. Manche fragen mich, ob das noch geht. Ich schicke sie dann zum Rabbi, der muss entscheide­n.

Wieso machen Sie diese Mode?

Ich wuchs in Tel Aviv auf, das Meer ist Teil von mir, wir waren als Kinder und Jugendlich­e immer am Meer. Als ich zum Glauben kam, wollte ich erst mit einem Sari baden, nur ging das gar nicht. Für mich ist es Berufung, keusche Bademode zu machen. Kundinnen schreiben mir, sie seien glücklich, dass sie endlich ins Meer können.

Was dachten Sie, als Sie die Fotos von den Polizisten in Frankreich sahen, die eine Muslimin zwingen, ihren Burkini auszuziehe­n? Das war erschrecke­nd und sagt etwas über die Franzosen aus. Als hätten sie den Verstand verloren! Das Problem ist die enorme kulturelle Kluft. Mein erstes Gefühl war das eines Verlustes, dann der Versuch, sich an etwas festzuhalt­en, um sich zu retten. Am Burkini? Absurd eigentlich!

 ?? [ csuta.com ] ?? Israelisch­es Mannequin in einem „keuschen“Strandgewa­nd von Michal Siv.
[ csuta.com ] Israelisch­es Mannequin in einem „keuschen“Strandgewa­nd von Michal Siv.

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