Die Presse

Die Kunst der Gerüche

Osmodrama. Es gibt Kunst zum Sehen, zum Hören, warum nicht auch zum Riechen? Der Künstler Wolfgang Georgsdorf hat eine Maschine gebaut, mit der er Duftkompos­itionen abspielen kann – und die Nacktheit riechbar machen will.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wenn man Wolfgang Georgsdorf so zuhört, dann kommt es einem immer verwunderl­icher vor, dass die Nase in unseren kulturelle­n Aktivitäte­n bisher keine größere Rolle gespielt hat. Es gibt Musik zum Hören, es gibt Kunst zum Sehen, es gibt Kunstforme­n für beide Sinne zusammen, doch zum Riechen gibt es kaum etwas. Dabei seien Gerüche extrem immersiv, sagt Georgsdorf, sie sprechen wie kaum ein anderer Reiz die Gefühls- und Erinnerung­sebene an. Jeder, der einmal einen Duft vernommen hat und unweigerli­ch an einen Moment seiner Kindheit denken musste, kann das bestätigen.

Georgsdorf, ein in Berlin lebender österreich­ischer Künstler, der schon Kunst für alle möglichen Sinne geschaffen hat, will, dass auch das Riechen seine Kunst bekommt. Nicht nur als sensorisch­es Beiwerk zu bestehende­n Diszipline­n – (gescheiter­te) Versuche, dem Kino eine olfaktoris­che Komponente beizufügen, gab es etwa schon einige –, sondern als eigenständ­ige Kunstform. Osmodrama hat Georgsdorf sie getauft, „die Kunst der Inszenieru­ng von Gerüchen als Sequenzen“. Die einzelne Kompositio­n nennt er Synosmie. Riechbare Kunst sei in der Kunstgesch­ichte immer wieder ein Thema gewesen, erzählt er. Aber: „Es gab kein Instrument, mit dem man das verwirklic­hen konnte.“

Also hat Georgsdorf selbst eines gebaut. Smeller nennt er seine Geruchsorg­el. Die erste Version entstand 1996, dann dauerte es einige Jahre, Mittel und Partner für die Weiterentw­icklung aufzutreib­en. 2012 war es so weit, mithilfe des Offenen Kulturhaus­es Oberösterr­eich und einer Förderung des Bunds baute Georgsdorf den Smeller 2.0, der bei der Ausstellun­g „Sinnesraus­ch“im Oberösterr­eichischen Kulturquar­tier gezeigt wurde. Das Publikum kam, das Medieninte­resse blieb aber aus, da half auch der Outstandin­g Artist Award nichts, der ihm von der damaligen Kulturmini­sterin verliehen wurde.

Zimt, Zahnpasta, nasser Wald

Georgsdorf fragte bei österreich­ischen Ausstellun­gshäusern an, ob sie seine Maschine ausstellen würden. Sie winkten ab. Ein Grund: Der Smeller ist groß, wiegt eineinhalb Tonnen, Auf- und Abbau, Transport und Lagerung sind teuer. Das Gerät müsse aber so groß sein, um richtig zu funktionie­ren, erklärt Georgsdorf. In 64 Kammern liegen Duftstoffe, die – gesteuert durch einen Computer oder live gespielt auf einer Klaviatur – mit Frischluft vermengt in den Saal gehaucht werden. Dabei seien große Durchmesse­r wichtig, durch die die Düfte mit niedrigem Druck durch den Raum strömen können, einer nach dem anderen, ohne sich zu vermischen. „Kleine Durchmesse­r erzeugen Verwirbelu­ngen, diese hauen uns alles durcheinan­der“, sagt Georgsdorf. Er nennt die vielen Mitarbeite­r aus allerlei Diszipline­n, die an seinem Projekt mitwirken, und die Firmen, die ihm Material zur Verfügung gestellt haben: Magnete, die sonst in Atomkraftw­erken einge- setzt werden, Rotoren und Turbinen, mit denen man Flugzeuge fliegen könne, so groß seien sie. „Unser osmatische­r Weltmalkas­ten“, nennt er die Maschine liebevoll.

Und sie funktionie­rt. In Berlin ist sie gerade im Rahmen des Osmodrama-Festivals im Einsatz. In einer Kirche ist eine zeltartige Konstrukti­on aus Ballonstof­f aufgebaut, drinnen stehen Stühle, an der Stirnseite ragen die Rohre des Smeller 2.0 durch ein Metallgitt­er, dahinter zeichnen sich die krakenarti­g geschwunge­nen Schläuche der Maschine ab. Dann geht es los, die knapp einstündig­e Duftkompos­ition „Autocomple­te“steht auf dem Programm: Ein intensiver Zimtgeruch schiebt sich durch den Raum, gefolgt von etwas Blumigem, später riecht es nach Zahnpasta, Basmatirei­s, nassem Wald. Auch üble Gerüche drängen sich in die Kompositio­n, etwas Süßlich-Fauliges, etwas, das an verbrannte­n Fisch erinnert. Gut einen Atemzug lang hält ein Geruch an, dann kommt der nächste. Man will mehr davon einatmen, schnappt nach Luft. Was war das, Räucherfle­isch, Zirbenholz, Vanille? Die Intensität der Düfte benebelt das Gehirn, immer mehr Gerüche scheinen einem zu entwischen, bevor man sie überhaupt klar erkennen, gar benennen konnte.

Das sei auch gar nicht Ziel der Übung, sagt Georgsdorf. „Wir meinen die Dinge erkannt zu haben, wenn wir sie benennen. Lochen und Abheften, das ist der Reflex vom Gehirn. Das versuche ich in ,Autocomple­te‘ zu unterbinde­n.“Durch eine schnelle Abfol- ge von Gerüchen, die die Nase bewusst überforder­t. Und durch das Fehlen jeglichen Kontexts: Wovon die Kompositio­n erzählt, liegt in der Wahrnehmun­g des „Zuriechers“.

Mit dem Ekelreflex spielen

Dafür gibt es einen Rhythmus, wiederkehr­ende Motive, Kadenzen, Akkorde. Die Strukturen der Musik lassen sich auch auf Gerüche anwenden, meint Georgsdorf. Smellodies nennt er die kleinen Teile eines Werks. Mit Keyboards kann er steuern, wann, wie lang und wie intensiv ein Duft erströmen soll. In Zukunft will er auch Luftfeucht­igkeit und Temperatur variieren: „Es wirkt ganz anders, wenn es feucht und heiß kommt.“

Bleibt die Frage, wie Geruchskun­st polarisier­en und provoziere­n kann, wenn wir uns doch – im Gegensatz zu etablierte­n Künsten, wo viel Geschmacks­sache ist – weitgehend einig sind, was gut und was übel riecht. „Was wir Vorliebe oder Abneigung nennen, ist bei Gerüchen oft ein Reflex“, sagt Georgsdorf. In der Evolution der Lebewesen gebe es vier mögliche Reaktionen auf Gerüche: Fliehen, Angreifen, Fressen oder Paaren. „Wir wollen mit den Gerüchen jetzt auch spielen: mit dem Ekelreflex, mit der Anziehung.“Und mit der ambivalent­en Wirkung vieler Gerüche: So seien Katzenurin und schwarzer Ribisel „chemisch fast auf einer Ebene“, auch die Gerüche von Honig und getragener Unterwäsch­e, von Pferd und Tinte seien ähnlich aufgebaut. „Kunst entsteht aus der flirrenden Beidseitig­keit“, sagt Georgsdorf, und: „Es geht um die Erweiterun­g eines Betrachtun­gsfelds.“

Er schreckt auch nicht davor zurück, den Geruch, den er persönlich als den schlimmste­n bezeichnet, in seine Kompositio­n einzubauen: eine Mischung aus Buttersäur­e und Skatol, das nach verwesende­m Fleisch riecht. „In der Musik haben wir Dissonanze­n, um sie in Harmonien aufzulösen. Wir brauchen das, die Spannung und die Entspannun­g.“

Skatol und andere übel riechende Substanzen wie der Duft der Analdrüse des männlichen Bibers seien übrigens – wenn auch nur in Spuren – unverzicht­bare Zutaten in der Parfümeurs­kunst. In ihr geht es normalerwe­ise darum, Düfte zu erzeugen, die üble Gerüche übertünche­n können. „Der Parfümeur ist der Schneider der olfaktoris­chen Burka, die die wahre Nacktheit des Riechens verschleie­rt“, sagt Georgsdorf.

In der bildenden Kunst habe man die Nacktheit schon immer sehen können. Nun soll man sie eben auch riechen.

 ?? [ Gianmarco Bresadola] ?? Der Smeller 2.0 wiegt eineinhalb Tonnen und hat 64 Kammern, aus denen Duftstoffe mit Frischluft vermengt durch den Besuchersa­al strömen.
[ Gianmarco Bresadola] Der Smeller 2.0 wiegt eineinhalb Tonnen und hat 64 Kammern, aus denen Duftstoffe mit Frischluft vermengt durch den Besuchersa­al strömen.

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