Blomstedts unaufgeregt aufregender Beethoven
Gewandhausorchester. Der 89-jährige Dirigent bestritt mit seinem einstigen Orchester das Finale der heurigen Salzburger Festspiele.
„Traditionell“oder „historisch informiert“? Bei kaum einem Komponisten wird der Streit um die angeblich allein selig machende Interpretationsweise so erbittert geführt wie bei Ludwig van Beethoven. Der 89-jährige Herbert Blomstedt hat mit dem Gewandhausorchester Leipzig am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen gezeigt, dass diese Frage nebensächlich ist – und dass es einzig darum geht, dem Werk zu dienen, mit „alten“wie mit „neuen“Mitteln.
Blomstedts Beethoven kann man als unaufgeregt aufregend charakterisieren. Er schlug humane Tempi an, nicht überhastet, aber schon gar nicht schleppend. Sie erlaubten es ihm, dank seiner intimen, in vielen Jahrzehnten gereiften Vertrautheit mit den Werken, selbst in oft Gehörtem noch die eine oder andere Überraschung offenzulegen, eine kontrapunktisch gearbeitete Passage hier, eine markant herauspräparierte Basslinie dort. Gerade die präzise artikulierenden Bässe kamen, obwohl es durch die für das Große Salzburger Festspielhaus ideal passende 14er-Besetzung bei den Streichern nur sechs an der Zahl waren, gut heraus.
Schiff passt ideal zu den Leipzigern
Nach der zweiten Leonoren-Ouvertüre, mit herrlich weich abphrasiertem Trompetenruf, kam für das fünfte Klavierkonzert Verstärkung in Gestalt des Pianisten Andras Schiff auf die Bühne. Wie am Vortag Sol Gabetta zum Amsterdamer Concertgebouw-Orches- ter passte auch Schiff ideal zu „seinem“Orchester. Der Ungar ist die Unaufgeregtheit in Person, sein Zugang zu Beethoven geradlinig und sachlich, mit einem, vom Schlussakkord des Kopfsatzes abgesehen, der Transparenz sehr dienenden, fein dosierten Pedaleinsatz. Wenn er sich dann aber doch einmal zu einem Rubato durchrang, dann hatte dies umso stärkere Wirkung.
Eine angenehme Nebenwirkung hatte auch Blomstedts Kniff, das Adagio unmittelbar an den ersten Satz anzuschließen und so eine Hustpause zu vereiteln. Auch bei der 7. Symphonie ließ er nur zwischen den Mittelsätzen ein wenig Zeit dafür.
Im Gegensatz zu vielen seiner Dirigentenkollegen bremste sich Blomstedt beim Trio des Scherzos nicht so stark ein. Er ver- lieh diesem Trio damit einen ganz anderen Charakter, es klang nicht mehr nach einem betrunkenen Tanzbären, sondern trieb sozusagen forsch die „Handlung“voran. Das Ritardando vor der Rückkehr in den A-Teil des Scherzos fiel dafür umso stärker aus. Auch dem Finale trieb Blomstedt mit reschem Tempo und leichtfüßigem Gestus jegliche Schwere aus.
Freilich hatten die Leipziger noch ein Geschenk mitgebracht, und so kam das Salzburger Publikum nach Andras Schiffs feinsinnig musiziertem Ges-Dur-Impromptu Opus 90/3 von Schubert an diesem Abend noch in den Genuss einer zweiten Zugabe. Eine forsch und mit revolutionärem Esprit musizierte Egmont-Ouvertüre als triumphierendes Finale der heurigen Festspiele.