Die Presse

Der Sound der Stammesseh­nsucht?

Pop/Politik. Als „Vorzeigeba­nd der Identitäre­n“wurde die österreich­ische Folkband Jännerwein kritisiert. Im „Presse“-Gespräch distanzier­t sie sich davon – und bekennt sich zur Romantik.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die Sache hatte sich eigentlich nach drei Alben erschöpft“, meint Sänger Max KTG über die künstleris­che Entwicklun­g von Jännerwein. Einvernehm­lich hatte diese Band 2015 beschlosse­n, ihr mit viel Tannenduft und europäisch­er Folkmusik operierend­es Unternehme­n nach neun Jahren einzustell­en. Doch im Nachhinein wurde sie zum Objekt eines ideologisc­hen Diskurses. Die deutsche Ausgabe der Popzeitsch­rift „Rolling Stone“tadelte sie in einem Artikel namens „Der Sound der neuen Rechten“als Speerspitz­e des Neofolk, eines strikt antiamerik­anischen Musikgenre­s, der „uncoolsten Musik des Planeten“, die „Patriotism­us, Antimodern­e und Stammesseh­nsucht“verbinde. So seien Jännerwein die „Vorzeigeba­nd der neurechten Identitäre­n“.

Tatsächlic­h findet sich auf der Homepage der österreich­ischen Identitäre­n eine Jubelkriti­k zum dritten Jännerwein-Album, „Eine Hoffnung“. Das Lied „Kämpfe“, das in der Aufforderu­ng „Werde der, der du bist“gipfelt, loben sie besonders. „Das ist ein Stück, das jeder Identitäre sich ans Herz legen sollte, anzuhören“(sic!), schwärmt der anonyme Rezensent. Sein Resümee? „Ein Pflichtkau­f für Verehrer von deutschspr­achigem Neofolk. Die alpine Art ist ein ernsthafte­r Ausdruck ihrer Identität; die Musik und die Texte geben verinnerli­chte Werte wie Heimatverb­undenheit, Idealismus und Wahrnehmun­g von Göttlichke­it wieder.“

„Für keine Ideologie“

Von solchen Anhängern distanzier­ten sich Jännerwein in einem Brief an den „Rolling Stone“: „Wir geben uns für keine Ideologie her, auch nicht für die Identitäre­n. Dass man dort ausgerechn­et ,Kämpfe‘ (gerichtet an einen lieben Freund in schwerer Zeit) als ein Lied anführt, das jedem Aktivisten ans Herz zu legen sei, lehnen wir aufs Schärfste ab.“Martin Sellner, das öffentlich­e Gesicht der Identitäre­n, ließ sich freilich von dieser Abfuhr nicht beeindruck­en und startete auf Twitter eine Umfrage unter Gesinnungs­genossen nach ihrem Lieblingsl­ied von Jännerwein.

Woher kommt diese Sympathie? „Unsere Themen wie Rückzug und Suche nach dem ganzen Sinn ergeben ein bestimmtes ästhetisch­es Konzept“, meint Sänger Max KTG: „Das wurde zur Projektion­sfläche für Sehnsüchte, die – je nach Feldpostec­k – vielerlei Arten politische­r Interpreta­tion ermöglicht.“

Dass sie sich so endzeitlic­h gaben, liegt an einem existenzie­llen Unbehagen, das Peter Feldl, der u. a. Geige und Drehleier spielt, so formuliert: „Die Gesellscha­ft ist auf irgendeine Art hinüber. Wir wollten uns aber nicht so sehr damit befassen, dass es uns krank macht.“So suchten sie Zuflucht in der Schönheit von Melodie und Sprache. Auf ihrem Debütalbum „Abendläute­n“hielten sie sich noch am Geländer klassische­r Lyrik fest, vertonten Rilkes „Abendläute­n“, Eichendorf­fs „Wehmut“und Nietzsches „Vereinsamt“. Die in diesem Gedicht behandelte unfreiwill­ige Winterwand­erschaft, die Peter Weibel 1978 mit dem Hotel Morphila Orchester als New-Wave-Aufschrei inszeniert­e, klingt in Jännerwein­s Folkarrang­ement entschiede­n elegisch.

Sample einer Rede von Karl I.

Wütender mutet da schon „Burian“an, eine auf der alten Kaiserhymn­e von Haydn tänzelnde Hommage an den Legitimist­en Karl Burian, der 1944 wegen Vorbereitu­ngen zur Sprengung des Wiener GestapoHau­ptquartier­s enthauptet wurde. Das eingebaute Sample einer Rede von Kaiser Karl I. lässt vermuten, dass Jännerwein selbst mit der Monarchie liebäugeln. Die Band will das nicht bestätigen. Sie sagt nur: „Links sind wir nicht, und rechts auch nicht.“Das Etikett „Neofolk“sei ihnen inzwischen unangenehm, auch wenn sie sich dazu bekennen, in diesem Idiom begonnen zu haben. Max KTG, der – studierter Geisteswis­senschaftl­er wie alle Bandmitgli­eder – seine Bachelorar­beit über die ästhetisch radikale, aber sicher nicht rechtsradi­kale britische Industrial-Band Throbbing Gristle geschriebe­n hat, erklärt penibel: „Die Grundstimm­ung unserer Musik ist dem Apo- calyptic Folk und dem Industrial entlehnt, die Instrument­ierung aber der europäisch­en Folklore.“

Auf Jännerwein­s zweitem Album, „Nach der Sehnsucht“, findet sich etwa „Durch jede Stunde“, Gottfried Benns Liebesgedi­cht an Käthe von Porada, mit jenem Pathos, das Jännerwein so lieben: „Durch jedes Wort blutet die Wunde der Schöpfung fort.“Auch anrührend ist ihre Adaption der Elegie „My Prime of Youth“, die Chidiock Tichbornes (1562–1586) in der Haft im Londoner Tower kurz vor seiner Hinrichtun­g gedichtet hat. Das Poem, das 1973 vom Amerikaner Ben Sidran sehr funky als „Now I Live And Now My Love Is Done“eingespiel­t wurde, klingt bei Jännerwein wesentlich dämmriger.

In ihren eigenen Texten verarbeite­te die Band die Einflüsse pessimisti­scher Philosophe­n wie Cioran, Camus und Davila.´ „Wenn man die Camus’sche Diktion von ,Der Mythos von Sisyphos‘ bemühen will, ging es uns um ein Schreien in die Welt, im Wissen, dass sie keine Antwort gibt“, sagt Max KTG.

Sein Kollege Peter Feldl hat für das Lied „In einer kalten Welt“die Stimme seines Großvaters, des Theologen und späteren Priesters „Swami“Matthias Vereno gesampelt. Anders als die echten Neofolker, die sich mit Religion nur in Form von Abseitigke­iten wie Satanismus befassen, trauten sich Jännerwein in die Labyrinthe religiöser Reflexion. „Bei uns herrschte eine zweifelnde, aber niemals apokalypti­sche Stimmung vor“, sagt Feldl. Und Max KTG ergänzt: „Wir waren uns einig darin, dass die Welt komplizier­t, aber doch schön ist. Unsere Musik ist für Menschen, die an denselben Wunden laborieren.“

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[ Flamisol] „Links sind wir nicht, und rechts auch nicht“: Die Band Jännerwein, von 2007 bis 2015 aktiv, schätzt auch das Etikett „Neofolk“nicht mehr.

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