Eintauchen ins Laboratorium der Zukunft
Ars Electronica. Vom 8. bis 12. September geht in Linz zum 36. Mal die „Ars Electronica. Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft“mit Ausstellungen, Performances, Tagungen, Workshops und vielen Veranstaltungen über die Bühne.
Gerfried Stocker, Sie sind künstlerischer Leiter der Ars Electronica. Als Motto des diesjährigen Festivals haben Sie „Radikale Atome und die Alchemisten unserer Zeit“ausgegeben. Wofür steht dieses Begriffspaar? Der Begriff Radical Atoms wurde am MIT Medialab geprägt und steht für Ideen, wie man digitale Daten in die physische Welt bringen kann. Dabei geht es um neue Materialien, in denen sich Biologisches mit Digitalem verbindet, aber auch um die Frage nach autonomen, selbstlernenden Maschinen. Die Alchemisten im Sinn des Festivalgedankens sind Leute aus Kunst und Wissenschaft, die interdisziplinär zusammenarbeiten, dabei unorthodoxe Ideen verfolgen und die Zukunft in alternativen Szenarien denken und entwickeln – eine Haltung, die auf viele der teilnehmenden Künstler zutrifft.
Was erwartet die Besucher? Es gibt natürlich allen voran die Ars Electronica als „klassisches Medienkunstfestival“mit der Cyberarts-Ausstellung und den Gewinnerprojekten des Prix Ars Electronica, ein Programm zu Computeranimationen, einen Schwerpunkt für elektronische und digitale Musik etc. Es gibt aber auch die große Ausstellung „Alchemists of Our Time“, in der viele Künstler nicht nur ihre Projekte, sondern vor allem ihre Denk- und Arbeitsweisen vermitteln – und genau an diesem Punkt wird die Ars dann zu einem Kunst-, Wissenschafts- und Innovationsfestival. Sehr wichtig, quasi ein Festival im Festival, ist Create Your World, in dem sich viele Projekte von und mit Jugendlichen finden. Wir machen bei alldem aber keine Trennung zwischen dem Kunstbereich hier und dem Technologiebereich dort – Ars Electronica steht für die Verbindung dieser Hemisphären.
Eine wichtige Säule des Festivals ist der Prix Ars Electronica, der heuer zum 30. Mal vergeben wird. Wie weit spiegeln die Einreichungen Fragen der Zeit wider? Der Prix ist nicht nur der weltweit renommierteste Preis für digitale Kunst. Mit jährlich ca. 4000 Einreichungen aus aller Welt ist er auch ein Trendbarometer. Die Analyse der Trends ist eine wichtige Quelle sowohl für Innovationen aus unserem Futurelab als auch für weitere Entwicklungsschritte von Ars Electronica und künftige Festivalthemen. Welche Trends lassen sich diesmal ablesen? Da wäre einmal die aktivistische Rolle der Künstlerin oder des Künstlers, was die Definition der Spielregeln für die digitale Welt angeht. Dann die zunehmende Bedeutung von haptischen und taktilen Ausdrucksformen digitaler Information und die Verbindung von Computer und Biotechnologie.
Erstmals wird in diesem Jahr der STARTS Prize vergeben. Das Siegerprojekt „Artificial Skins and Bones“hat sich der Entwicklung von Hightech-Materialien verschrieben, die Strukturen und Funktionsweisen der Natur nachbauen. Zeigt sich darin der lange Weg von künstlerisch-technologischen Visionen bis hin zur Umsetzung in die Realität? Es ist interessant zu sehen, wie stark in jüngster Zeit die Idee aufgegriffen wurde, dass aus Bereichen der Kunst wesentliche Impulse für gesellschaftliche und wirtschaftliche Innovationen kommen können. Das ist eine spannende Situation vor allem für Künstler, die sich mit neuen Technologien beschäftigen. Beim Science, Technologie und Arts (STARTS) Prize geht es um eine Zusammenarbeit von Kunst und Wirtschaft, bei der die Wirtschaft nicht der barmherzige Sponsor, sondern Nutznießer der kreativen und innovativen, künstle- rischen Arbeit und Denkweise ist. Die Preisträgerprojekte, aber auch die Anerkennungen, sind eine Art Referenzliste dafür und zeigen, was für beide Seiten aus solchen Kooperationen zu gewinnen ist.
Wie würden Sie das Verhältnis zwischen der Ars Electronica als Festival für digitale Kunst zu Wirtschaft und digitaler Industrie beschreiben? Es gibt eine wichtige ökonomische Dimension, weil wir angesichts immer knapper werdender öffentlicher Budgets viele unsere Entwicklungen nur mehr in Kooperation mit der Industrie machen können. Das Erfreuliche daran ist, dass wir eigentlich kaum noch typische Sponsoringbeziehungen pflegen, sondern den Großteil aus aktiven Kooperations-, Forschungs- und Entwicklungsprojekten erzielen. Interessant finde ich die Rolle, die digitale Kunst für die digitale Industrie spielen kann. Wie weit wir tatsächlich die Entwicklung und Einführung neuer Technologien mitgestalten können, wird enormen Einfluss auf die Qualität unserer Zukunft haben – eine Zukunft, in der die Beziehung von Mensch und Maschine noch weiterreichende Konfliktpotenziale haben wird, als wir uns das jetzt vorstellen.
Ein spektakuläres Highlight ist die Performance „Drone 100 – Spaxels über Linz“, bei der 100 Drohnen im Vorfeld der Klangwolke über dem Linzer Himmel aufsteigen. Welche Botschaft transportieren diese Drohnen? Derzeit sind Drohnen ja entweder Hightech-Kriegsgerät oder Spielzeug. Und wie immer wenn sich etwas Neues schnell durchsetzt, sind wir als Gesellschaft mit der Regulierung erst einmal überfordert. Doch die Drohnen von heute sind eigentlich nur Laborratten für viele Szenarien rund um autonome Mobilität, Logistik, Internet der Dinge etc. Das gilt für die industrielle Anwendung ebenso wie für die Mög- lichkeiten, sie in Shows und Events einzusetzen. Wirklich interessant für die Zukunft sind die Anwendungspotenziale, die aus der Verbindung von frei navigierbaren Fluggeräten, autonomer Robotik und lernfähigen Systemen entstehen werden. Wenn eine Company wie INTEL künstlerische Drohnenprojekte unterstützt, mag das motiviert durch den Wunsch sein, das Image dieser Technologie aufzupolieren – für die Künstler, die damit arbeiten, steht aber immer die kritische Reflexion von Möglichkeiten und Auswirkungen im Vordergrund, speziell angesichts der hohen Symbolik dieser Geräte.
Dass es bei der Ars Electronica nicht nur um Bits und Bytes geht, belegt das Rahmenprogramm, in dem besonders ein Biobauernmarkt ins Auge fällt. Ein Zeichen der Versöhnung der virtuellen Realität mit dem realen Leben? Der Biomarkt ist sicher das stärkste Zeichen für die Notwendigkeit, die digitale Sphäre aus wissenschaftlichen Elfenbeintürmen und wirtschaftlichen Monopolen rauszubringen. Gerade unter den Leuten, die sich mit nachhaltigem Wirtschaften und gesunder Ernährung beschäftigen, gibt es ja auch sehr viele Technikbegeisterte. Das alte Bild der Unvereinbarkeit von ökologischem Bewusstsein und technologischem Fortschritt stimmt vielfach nicht mehr. Bei der Auswahl der Teilnehmer ging es darum, Leute zu finden, die sich auf die Brücke zwischen Natur und Technik einlassen wollen.
Ein zentraler Schauplatz des Festivals ist neben dem AEC-Center die POSTCITY. Sie wurde ursprünglich 2015 als temporärer Schauplatz dazugenommen. Welche Symbolkraft haben die Räume heute? Wir haben das große Glück, dass uns die Post diese Hallen ein zweites Mal zur Verfügung stellt. Das hat für das Festival den organisatorischen Vorteil, dass wir das Programm für das Publikums ehr überschaubar präsentieren können. Inhaltlich interessiert uns heuer die Zwischennutzung der Postcity für die Unterbringung von Flüchtlingen seit Ende des letzten Festivals. Darauf werden einige Projekte künstlerisch eingehen. Auch die große Flüchtlings helferKonferenz wird ins Festival geschehen eingebettet sein.
Was wünschen Sie sich als Ergebnis dieser Ars Electronica? Eine bessere Welt natürlich!