Die Presse

Wenn der Tierschutz aus der EU ausgelager­t wird

Öffentlich­e Gelder aus EU-Ländern für „Entenfarme­n“in der Ukraine.

- VON NICOLAS ENTRUP Der Autor ist seit 20 Jahren im internatio­nalen Tier-, Arten- und Umweltschu­tz tätig. Er ist Leiter der Agentur Shifting Values, die mit und für gemeinnütz­ige Organisati­onen Initiative­n umsetzt.

Die Desna ist ein Fluss, wie man ihn hierzuland­e vergeblich sucht. Mit weiten Mäandern und ausgedehnt­en Feuchtgebi­eten durchzieht sie die nördliche Ukraine, bevor sie bei Kiew in den Dnjepr mündet. Man möchte sich vorstellen, dass dieses Gebiet ein wahres Paradies für Enten und andere Wasservöge­l ist. Doch ganz in der Nähe ist ein Projekt in Bau, das für Enten die reinste Hölle bedeuten würde: ein Leben in Käfigen, dicht gedrängt auf Gitterrost­en, ohne Einstreu, ohne Zugang zu Wasser und damit ohne Möglichkei­t, essentiell­e Verhaltens­weisen auszuleben. In einer geplanten „Entenfarm“sollen im Endausbau pro Jahr 10,8 Millionen Enten gemästet und geschlacht­et werden.

Nicht gerade ein Projekt, das mit öffentlich­en Geldern unterstütz­t werden sollte? Das sehen bei Weitem nicht alle so. Die deutsche Bundesregi­erung etwa beschloss, Exportkred­itgarantie­n in Höhe von 42 Millionen Euro für diese Entenfabri­k zu übernehmen. Exportkred­itgarantie­n sind eine praktische Sache für exportiere­nde Firmen: Zahlt der Abnehmer der Waren aus irgendwelc­hen Gründen nicht, springt Vater Staat mit Steuermitt­eln ein und übernimmt die Zahlung. So kann man schöne Geschäfte machen, ohne sich um ein unternehme­risches Risiko kümmern zu müssen. In unserem Fall liefern deutsche Firmen die Zuchtanlag­en und das Schlachtha­us.

Auch Polen übernahm eine Exportkred­itgarantie – von hier kommen Gebäudeele­mente. Die Brüterei wird aus den Niederland­en geliefert, die Bruteier aus Frankreich. Wir stehen also vor einem weiteren Fall, wo die Ukraine mit ihren schwächere­n Tierschutz­gesetzen von Westeuropa als ausgelager­te Mastanlage verwendet wird. Das geht aber nicht ohne Widerstand vor sich. Ein Anlauf zur Errichtung der Anlage in einer anderen ukrainisch­en Region musste nach Bürgerprot­esten abgeblasen werden.

Auch der zweite Anlauf an der Desna ist mit Demonstrat­ionen, Baustellen­blockaden, Unterschri­ftensammlu­ngen und Einsprüche­n von Gemeinden konfrontie­rt.

Wenn sich der Projektbet­reiber auch noch finanziell übernommen hat, wird es ernst mit der staatliche­n Garantie. Laut Medienberi­chten hat Deutschlan­d bereits fünf Millionen Euro an Ersatzzahl­ungen an die liefernden Firmen überwiesen. Fortsetzun­g wird wohl folgen.

Solche Projekte, die staatliche Unterstütz­ung erhalten, obwohl sie nach den hiesigen, ohnehin schwachen Tierschutz­bestimmung­en gar nicht bewilligun­gsfähig wären, sind leider keine Einzelfäll­e. Millionen Legehennen, Masthühner und Schweine leiden in Ländern wie der Ukraine, Russland oder der Türkei bereits in tierquäler­ischen Haltungssy­stemen, die von deutschen, niederländ­ischen oder italienisc­hen Unternehme­n geliefert wurden – welche ihr wirtschaft­liches Risiko auf den Steuerzahl­er abgewälzt haben. Legitimier­t wird dies mit der Erhaltung von Arbeitsplä­tzen bei den Käfigherst­ellern.

EU-Normen als Maßstab?

Es ginge aber auch anders. In den genannten Ländern konkurrier­en im Wesentlich­en Unternehme­n aus verschiede­nen EU-Staaten um die Aufträge. Und die Richtlinie­n der OECD sehen die Möglichkei­t vor, die EU-Normen als Maßstab für die Vergabe von Exportkred­itgarantie­n heranzuzie­hen. Diese Möglichkei­t blieb bisher ungenutzt.

Landwirtsc­haftsminis­ter Andrä Rupprechte­r hat angekündig­t, dieses Thema im Oktober in den Rat der EU-Agrarminis­ter zu bringen. Wenn man sich dort nicht auf die EU-Tierschutz­normen als Mindeststa­ndards für Exportkred­itgarantie­n einigen kann, werden wohl manche Minister gegenüber ihrer Bevölkerun­g zunehmend in erhebliche­n Erklärungs­notstand geraten.

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