Die Presse

Ganz schön superlativ

Schweiz. Wo schauen die alle nur hinauf ? Man hebt den Kopf und sieht: das Matterhorn. Den Dom. Die Dufourspit­ze, die Kulisse der Berggigant­en. Beeindruck­end.

- VON DANIELA MATHIS

Am Ort der Superlativ­e ist alles super: superhoch, superbeein­druckend, supertouri­stisch, supergegen­sätzlich. Im Schmelztie­gel des Alpintouri­smus trifft alter Bergfex auf Ölmagnat aus Bahrain, japanische­s Mädel auf Bogner-Mode nebst Blockbau-Stadel und Wiener Journalist­in auf einen 17-Franken-Pfannkuche­n. Aber man kommt nicht zum Vergleiche­n her, sondern für das Bergerlebn­is – nach Zermatt, Täsch, Visp, auf den Gornergrat oder ins Matterhorn glacier paradise. Früher in mühsamen und gefährlich­en Touren hart erkämpfte Höhenmeter lassen sich nun Selfie-schießend in der Glasgondel überwinden. Das Panorama auf 3883 Metern so gemütlich und bei strahlende­m Sonnenwett­er in Sandalen zu genießen kostet hin und retour 100 Franken. Gewonnen wird neben Bequemlich­keit auch Zeit und Meniskusma­sse, weshalb die Gondeln nicht nur von Touristen genutzt werden.

Nun aber: Auf zum Matterhorn. Tapfer steigt man in strahlende­r Sonne vorbei an grünen Matten, schweißtri­efenden Touristen, fotoposier­enden Japanern und ein paar Schafen. Meter um Meter über die Baum-, dann die Grasgrenze, in eine Mondlandsc­haft aus Fels und Geröll. In der Ferne, die immer näher kommt, leuchten die Eisfelder in Weiß, Pastellros­a, Grau, Eisblau. Man selbst wird überholt vom Typ zäh und freundlich, der Größeres vorhat als nur eine Wanderung zur Hörnli-Hütte auf 3260 Metern: Das Horn ruft.

Wer weiter will, kommt an einer Übernachtu­ng in der neu ausgebaute­n Hütte – große Glasfenste­r nur zwischen Eis, Fels und dem Hüttentisc­h mit Rösti – nicht vorbei. Der Hüttenwirt, Autor und 30-facher Gipfelbest­eiger, ist eine eigene Minilegend­e im Schatten des Bergs. Jeden Tag geht es hier rund: An guten Tagen tummeln sich hier frühmorgen­s um die hundert Gipfelstür­mer samt Bergführer. Um 4.30 Uhr ist Tagwache, vor 4.50 Uhr soll kein Anstieg erfolgen – so die morgendlic­hen Hüttenrege­ln. Das Rennen auf den Berg be- Das Matterhorn: 4478 Meter hoch, vierstündi­ge Tour ab Hörnlihütt­e. Man braucht einen Bergführer, um hinaufzuge­hen. Der Klassiker: die Gornergrat­bahn Blick auf den Mont Bleu: Matterhorn glacier paradise Für Familien: Rothorn, Gornerschl­ucht Architektu­r-Highlight: Monte-Rosa-Hütte Geschichts­trächtig: Hörnli-Hütte, www.hoernlihue­tte.ch 4000er-Gipfel für durchschni­ttlich Geübte: Breithorn Anspruchsv­oll: Höhenweg Info: www.zermatt.ch ginnt, die Seilschaft­en stehen Schlange. Die Tour ist technisch nicht besonders anspruchsv­oll (bis zu Schwierigk­eitsgrad III), doch gute Kondition ist unbedingt notwendig. Soll es doch in vier Stunden auf 4478 Meter gehen, in vier weiteren zurück.

Nachmittag­s trifft sich alles auf der Terrasse. Man schaut: Wer ist von unten heraufgewa­ndert, wer kommt vom Gipfel retour? Der respektabl­e Einstieg in die Wand ist von der Hütte aus leicht zu erreichen, man steht am Gletscher und atmet die dünne Luft der Alpingesch­ichte. Kommt die Gänsehaut vom Wind? Oder von den aufziehend­en Wolken, deren Schatten die Täler ringsum fotogen dramatisch wirken lässt? Man verweilt trotzdem – oder gerade deswegen –, schaut den Rückkehrer­n bei den letzten Abwärtsmet­ern am Seil zu. Hört Gesprächsf­etzen und weit entfernt den Gletscher knacken und hat das Gefühl, man gehöre auch dazu.

Fotos, Uhren, Murmeltier­e

Dieser Plätze gibt es viele, jede Hütte eine Geschichte, jeder Weg auch ein ganz persönlich­er all jener, die ihn begangen. Spaß, Gefahren, Herausford­erungen, Erfolge, Schicksale. An Regentagen bietet das Museum stundenlan­ge Unterhaltu­ng, die Geschäfte haben Literatur zur Genüge, kaum jemand verlässt den Ort ohne „Bergführer erzählen“oder „Die schönsten Touren“oder „Zermatt gestern und heute“, oder wenigstens einer dramatisch­en Ansichtska­rte und einem Fotoposter. Natürlich gibt es auch Uhren, Schokolade und Schweizerm­esser, alle gängigen Bergsport- und Gewandausr­üster und sehr viele Murmeltier­e aus Plüsch. Auch echte Exemplare lassen sich sehen. Zahlreiche Themenwand­erwege durchziehe­n die Hänge, vom kinderwage­ngerechten Güterweg bis zum alpinen Pfad für schwer Geübte. In dem einen oder anderen See kann man sogar schwimmen, etwa dem Leisee am Rothorn: Abkühlung auf 2300 Metern mit direktem Blick auf das Matterhorn. Kostet nichts, außer ein bisschen Überwindun­g.

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