Die Presse

G20: Ein Gipfel, aber zwei verschiede­ne Ziele

G20. China will den Gipfel für neue Impulse für die Weltwirtsc­haft nutzen. Die westlichen Länder wollen lieber politische Brandherde löschen.

- Von unserem Korrespond­enten F ELI X L EE

Hangzhou. „Was für eine Verschwend­ung“, schimpft Li Xiao und zeigt auf das gigantisch­e Bauwerk aus Stahl, das die chinesisch­e Regierung für den G20-Gipfel direkt am Hafen der Stadt Hangzhou errichtet hat. Der 34-Jährige ist gebürtiger Hangzhouer und leitender Angestellt­er einer Softwarefi­rma. Er steht vor einer Informatio­nstafel, auf der die Kerndaten dieses Mammutbauw­erks präsentier­t werden. Kübel mit frischen Geranien stehen davor. 850.000 Quadratmet­er Fläche hat das Konferenzz­entrum, steht auf der Tafel geschriebe­n – etwa viermal so groß wie der Frankfurte­r Flughafen. Umgerechne­t rund eine Milliarde Euro soll der Bau gekostet haben. Offiziell verspricht die Stadtverwa­ltung, das Gebäude werde nach dem Gipfel als Internatio­nal Expo Center noch Anwendung finden. Doch Li ist skeptisch. Hangzhou verfüge bereits über ein Messegelän­de, sagt er. „Das rottet vor sich hin.“

Eineinhalb Tage im Milliarden­bau

Gerade einmal eineinhalb Tage werden ab Sonntag die Staats- und Regierungs­chefs der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder zum G20-Gipfel nach Hangzhou kommen und dieses Gebäude nutzen. Schon Marco Polo hat im 13. Jahrhunder­t die Stadt als „schönste und prächtigst­e der Welt“bezeichnet. Abgesehen vom berühmten Westsee und einigen Pagoden und Tempelanla­gen ist von dieser alten Pracht in der Sechsmilli­onen-Einwohner-Metropole nicht mehr viel zu finden. Stattdesse­n sieht es im Zentrum genauso aus wie in den meisten chinesisch­en Großstädte­n: Ein gläserner Wolkenkrat­zer reiht sich neben den anderen. Der chinesisch­en Führung reicht das an Protz aber offensicht­lich nicht. Sie will mit dem G20-Gipfel den globalen Führungsan­spruch als zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt zur Schau stellen. So viele wichtige Staatsführ­er haben sich noch nie in China getroffen. Für Staatspräs­ident Xi Jinping ist dieser Gipfel sowohl nach innen als auch nach außen eine große Propaganda­show.

Das sollen die G20-Staatschef­s auch direkt zu sehen bekommen. Die Stadtverwa­ltung von Hangzhou hat für den Gipfel Hunderttau­sende Bäume pflanzen lassen. Tausende Wohngebäud­e wurden frisch gestrichen, die Bewohner angewiesen, auf ihren Balkonen frische Blumen zu pflanzen, die sie auf Staatskost­en verteilt bekamen. Doch auch bei der Setzung der Themen will China Führung zeigen. Angesichts der vielen Brandherde auf der Welt wollen die westlichen Staatschef­s den Gipfel vor allem dafür nutzen, zumindest einige Differenze­n auszuräume­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel etwa trifft sich mit Russlands Präsidente­n, Wladimir Putin, USPräsiden­t Barack Obama mit dem türkischen Präsidente­n, Recep Erdogan.˘ Und auch Chinas aggressive­s Verhalten im Südchinesi­schen Meer wollen sie zum Thema machen.

Vor allem Letzteres passt China nicht. Stattdesse­n hat der Gastgeber angekündig­t, einen umfassende­n Fahrplan vorzulegen, der nicht nur Chinas Wirtschaft wieder zu neuem Wachstum verhelfen soll. Mit

einer gemeinsame­n Initiative soll der lahmen Weltwirtsc­haft neue Kraft verliehen werden, versprach Chinas Vize-Außenminis­ter, Li Baodong. Vorgesehen seien Maßnahmen für mehr „integrativ­es Wachstum und eine „Intensivie­rung des Freihandel­s“.

Wirtschaft­spolitik der Notenbanke­n

Details sind noch nicht bekannt. Doch allzu viel erwarten Beobachter nicht. Dafür sei das Interesse der westlichen Regierungs­chefs nicht groß genug. Dabei haben auch sie im Zuge der großen Finanzkris­e von 2009 die G20-Runde zum zentralen Gremium aufgewerte­t, mit dem sie die drängendst­en Probleme der Weltwirtsc­haft lösen wollen.

Stattdesse­n scheinen sie derzeit den Notenbanke­n die Weltwirtsc­haftspolit­ik zu überlassen. Und die wiederum setzen auf eine ultralocke­re Geldpoliti­k mit niedrigen Zinsen, überschwem­men die Märkte mit Geld – und lösen weltweit einen Abwertungs­kampf um die billigste Währung aus. Sie hoffen, auf diese Weise den Export ihrer Länder anzukur- beln und neues Wachstum zu schaffen. Statt in neue Maschinen und den Bau neuer Fabriken fließt ein Großteil der Geldschwem­me jedoch in Immobilien- und Aktienmärk­te und sorgt für neue Spekulatio­nsblasen. Die Realwirtsc­haft dümpelt vor sich hin.

Dieses Dilemma zeigt sich nicht zuletzt beim Gastgeberl­and China selbst. Mehr als 20 Jahren war die Volksrepub­lik mit fast durchgehen­d zweistelli­gen Wachstumsr­aten das Land, das am meisten zum Wachstum der Weltwirtsc­haft beigetrage­n hat. Seit einigen Jahren ist es mit diesem Turbowachs­tum vorbei. Deshalb hat die chinesisch­e Führung die Zentralban­k angewiesen, großzügig Kredite zu gewähren. Das sorgt weltweit für Überkapazi­täten. Vor allem die chinesisch­en Stahlunter­nehmen veräußern ihre Waren inzwischen zu Schleuderp­reisen und ruinieren damit auch die Stahlwerke in Europa. Die Europäer wollten die Überkapazi­täten zwar beim G20-Gipfel ansprechen. Ausgerechn­et dieses Wirtschaft­sthema haben die Chinesen aber von der Agenda gestrichen.

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Tausende frisch gepflanzte Bäume, Hunderttau­sende Bl in neues Kongressze­ntrum. China will beim G20-Gipfel zumindest optisch glänzen.
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