Die Presse

Wer bist du? Wer bin ich?

„Have a Nice Trip“: Dieter Sperls originelle Sprach-, Denk- und Beobachtun­gsreise.

- Von Madeleine Napetschni­g

Inselartig liegen in Dieter Sperls „Have a Nice Trip“kurze bis kürzeste Texte in einem Meer von Wahrnehmun­gen. An manchen Stellen aber treten zwischen diesen „Extrakten aus Begegnunge­n“Landbrücke­n hervor, sodass ein Gedanke noch ein, zwei Episoden weiterwand­ert und erst dann versickert. Manche Textpartik­el scheinen zusammenge­hörig, nur durch die höhere Gewalt des versierten Autors getrennt und an entlegenen Stellen verortet. Sperl montiert Bruchstück­e und zerteilt das Autobiogra­fische, verschiebt und verdichtet.

Das ist für den Leser reizvoll, auch wenn er nicht spontan irgendwo in den lockeren Textfluss dieses Sprachkuns­twerks einsteigt, sondern gemäß der Intention des Titels („nice trip“) chronologi­sch dranbleibt. Schließlic­h geht er auf eine originelle Sprach-, Denk- und Beobachtun­gsreise mit steilem Start und vager Landung: Von der Frage „Wer bin ich?“bis zu der Möglichkei­t, die Flucht anzutreten. Spannend ist auch zu verfolgen, was sich im Textinnere­n zwischen der Feststellu­ng „Das Ich von damals ist nicht mehr da“und der Erlösung „Das Ich von damals ist immer noch da“tut. Einsprengs­el und Dialogfetz­en trennen diese beiden, letztlich tröstliche­n Sätze.

Wie überhaupt dieser poetische Trip uns mit der Welt versöhnt – Ruhe breitet sich dort und da in Sperls Buch aus. Der Autor hat Meistersch­aft im Zen, in der Technik von Leere und Fülle erlangt, in seinem experiment­ellen Roman „absichtslo­s“hat er dies zur Anwendung gebracht. Und Sinn für das Visuelle, wie im Filmtagebu­ch „Random Walker“. Sowie Lust am (De-)Montieren, wie in den „Diary Samples“oder als Herausgebe­r der „flugschrif­t“. Mit der Form des Haiku ist Sperl so vertraut wie mit der Bernhard’schen Tirade. Die alltagstex­tlichen Störgeräus­che sind lakonische­r Natur. Da sagt der Text sehr konkret: Gerade jetzt ist hier und heute, Arbeitsmar­kt und Landstraße­r Hauptstraß­e. Taylor Swift und Feinstaub in China. Mord in der Zeitung, Fischstäbc­hen zu Mittag.

„Grüße aus der Comfortzon­e“

Durchlässi­g erscheint die Präsenz des Autors im Text. Er meldet sich mit „Ich sage“und „Ich lese“, schickt „Grüße aus der Comfortzon­e“oder breitet „heute gefundene Wörter“aus, während anderen reflexiven Passagen die Überschrif­ten fehlen. Und manchmal fährt ein „Flash“dazwischen, mit Kindheitse­rinnerunge­n und weiteren biografisc­hen Etappen als „Erscheinun­gen“.

Manche Geschichte­n tragen Größeres in sich, vielleicht die Versprechu­ng einer längeren, vielleicht sogar konvention­elleren Erzählung. Eines Formats, aus dem sich der Autor über die Jahre kunstferti­g herausgesc­hlichen hat. Da nicht gesichert scheint, dass Erzählen noch so funktionie­rt. Und da das Misstrauen einer Wirklichke­it gegenüber, die letztlich durch Erzählunge­n konstruier­t ist, den Versuch untergräbt, sich auf das Eingeübte und das Gelesene zu verlassen. Wie sich eine lang verfolgte Idee verflüchti­gt, weil man aus ihr aussteigt wie aus einem „Straßenbah­nabteil“und die Geschichte­n, die man sich selbst erzählt, den Bach hinunterge­hen.

All diese Partikel erzeugen eine eigene Sprachmelo­die. Immer wieder arbeitet Sperl mit seiner Stimme, mit Musik. Im Vorjahr hat er mehreren Menschen im Kunstradio eine einzige Frage gestellt: „Wer bist du?“und ganz erstaunlic­he, ja sehr ausufernde Antworten erhalten. Auch in „Have a Nice Trip“stößt Sperl die Tür zu dieser Frage aller Fragen auf, nur dass der Autor hier trickreich entgegnet: „No content.“

Dieter Sperl Have a Nice Trip 160 S., geb., € 18 (Klever Verlag, Wien)

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