Wer bist du? Wer bin ich?
„Have a Nice Trip“: Dieter Sperls originelle Sprach-, Denk- und Beobachtungsreise.
Inselartig liegen in Dieter Sperls „Have a Nice Trip“kurze bis kürzeste Texte in einem Meer von Wahrnehmungen. An manchen Stellen aber treten zwischen diesen „Extrakten aus Begegnungen“Landbrücken hervor, sodass ein Gedanke noch ein, zwei Episoden weiterwandert und erst dann versickert. Manche Textpartikel scheinen zusammengehörig, nur durch die höhere Gewalt des versierten Autors getrennt und an entlegenen Stellen verortet. Sperl montiert Bruchstücke und zerteilt das Autobiografische, verschiebt und verdichtet.
Das ist für den Leser reizvoll, auch wenn er nicht spontan irgendwo in den lockeren Textfluss dieses Sprachkunstwerks einsteigt, sondern gemäß der Intention des Titels („nice trip“) chronologisch dranbleibt. Schließlich geht er auf eine originelle Sprach-, Denk- und Beobachtungsreise mit steilem Start und vager Landung: Von der Frage „Wer bin ich?“bis zu der Möglichkeit, die Flucht anzutreten. Spannend ist auch zu verfolgen, was sich im Textinneren zwischen der Feststellung „Das Ich von damals ist nicht mehr da“und der Erlösung „Das Ich von damals ist immer noch da“tut. Einsprengsel und Dialogfetzen trennen diese beiden, letztlich tröstlichen Sätze.
Wie überhaupt dieser poetische Trip uns mit der Welt versöhnt – Ruhe breitet sich dort und da in Sperls Buch aus. Der Autor hat Meisterschaft im Zen, in der Technik von Leere und Fülle erlangt, in seinem experimentellen Roman „absichtslos“hat er dies zur Anwendung gebracht. Und Sinn für das Visuelle, wie im Filmtagebuch „Random Walker“. Sowie Lust am (De-)Montieren, wie in den „Diary Samples“oder als Herausgeber der „flugschrift“. Mit der Form des Haiku ist Sperl so vertraut wie mit der Bernhard’schen Tirade. Die alltagstextlichen Störgeräusche sind lakonischer Natur. Da sagt der Text sehr konkret: Gerade jetzt ist hier und heute, Arbeitsmarkt und Landstraßer Hauptstraße. Taylor Swift und Feinstaub in China. Mord in der Zeitung, Fischstäbchen zu Mittag.
„Grüße aus der Comfortzone“
Durchlässig erscheint die Präsenz des Autors im Text. Er meldet sich mit „Ich sage“und „Ich lese“, schickt „Grüße aus der Comfortzone“oder breitet „heute gefundene Wörter“aus, während anderen reflexiven Passagen die Überschriften fehlen. Und manchmal fährt ein „Flash“dazwischen, mit Kindheitserinnerungen und weiteren biografischen Etappen als „Erscheinungen“.
Manche Geschichten tragen Größeres in sich, vielleicht die Versprechung einer längeren, vielleicht sogar konventionelleren Erzählung. Eines Formats, aus dem sich der Autor über die Jahre kunstfertig herausgeschlichen hat. Da nicht gesichert scheint, dass Erzählen noch so funktioniert. Und da das Misstrauen einer Wirklichkeit gegenüber, die letztlich durch Erzählungen konstruiert ist, den Versuch untergräbt, sich auf das Eingeübte und das Gelesene zu verlassen. Wie sich eine lang verfolgte Idee verflüchtigt, weil man aus ihr aussteigt wie aus einem „Straßenbahnabteil“und die Geschichten, die man sich selbst erzählt, den Bach hinuntergehen.
All diese Partikel erzeugen eine eigene Sprachmelodie. Immer wieder arbeitet Sperl mit seiner Stimme, mit Musik. Im Vorjahr hat er mehreren Menschen im Kunstradio eine einzige Frage gestellt: „Wer bist du?“und ganz erstaunliche, ja sehr ausufernde Antworten erhalten. Auch in „Have a Nice Trip“stößt Sperl die Tür zu dieser Frage aller Fragen auf, nur dass der Autor hier trickreich entgegnet: „No content.“
Dieter Sperl Have a Nice Trip 160 S., geb., € 18 (Klever Verlag, Wien)