Die Presse

„Schickt die Parteichef­s nach Hause“

Spanien. Der Stillstand und das Unvermögen einer Regierungs­bildung hängt den Spaniern beim Hals heraus.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZ

Madrid. Den G20-Gipfel in China mit den Mächtigen der Welt wollte Mariano Rajoy nicht missen, seine Teilnahme am Südeuropa-Gipfel in Athen am Freitag sagte Spaniens Premier hingegen ab. Der konservati­ve Regierungs­chef schlägt sich mit eigenen Problemen herum, die sich indessen zu einer größeren Krise auswachsen könnten.

Im Parlament will sich keine Mehrheit finden für den Premier und seine Partei. Nach zwei Parlaments­wahlen innerhalb eines halben Jahres hat ihm das Unterhaus nun bereits zum zweiten Mal innerhalb von 48 Stunden das Misstrauen ausgesproc­hen.

Der frühere europäisch­e Musterschü­ler Spanien wird somit zunehmend zum großen Sorgenkind der EU: Seit 250 Tagen treibt die viertgrößt­e Wirtschaft­smacht der Eurozone ohne gewählte Regierung dahin. Mangels klarer Mehrheiten im Parlament sieht es nicht danach aus, als würde sich daran in den nächsten Monaten etwas ändern.

Keine Reformen, keine Gesetze

Nun könnte König Felipe gezwungen sein, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres Wahlen anzusetzen. In der Hoffnung, dass die Spanier an den Urnen dann endlich für klare Machtverhä­ltnisse sorgen. Von den Spitzenpol­itikern, die sich bisher als unfähig erwiesen haben, einen mehrheitsf­ähigen Regierungs­pakt auszuhande­ln, ist derzeit offenbar keine Lösung zu erwarten.

Denn nicht nur Mariano Rajoy ist gescheiter­t. Das gleiche Schicksal ist vor einem halben Jahr dem sozialisti­schen Opposition­sführer, Pedro Sanchez,´ widerfahre­n. Andere Regierungs­kandidaten sind im zersplitte­rten Parlament, in dem weder der rechte noch der linke Block eine eindeutige Mehrheit hat, nicht in Sicht.

Für Spanien und für Europa ist dies eine einigermaß­en katastroph­ale Nachricht. Das südeuropäi­sche Schwergewi­cht, das sich noch immer nicht völlig von der Schulden- und Wirtschaft­skrise befreit hat, droht wieder abzustürze­n. Mangels stabiler Regierung wurde dieses Jahr noch kein einziges Gesetz verabschie­det: keine Reformen, keine Sparbeschl­üsse, kein Budgetentw­urf für 2017. Ein Stillstand, der die ohnehin schon schwer angeschlag­ene Eurozone weiter schwächen könnte.

Die Folgen des Machtvakuu­ms sind in Spanien jetzt schon sicht- bar: Der Staat hat Investitio­nen in neue Straßen, Schulen oder Krankenhäu­ser gestoppt. Die Privatwirt­schaft schiebt Investitio­nen im Inland auf, weil die Rahmenbedi­ngungen unkalkulie­rbar sind. Spaniens Gesamtschu­ldenberg wird derweil immer größer, das Haushaltsd­efizit ist außer Kontrolle.

Die Tourismusb­lase

Die Bürger sind empört über eine politische Elite, die nicht in der Lage ist, eine der schlimmste­n politische­n Krisen in der 40-jährigen Demokratie­geschichte zu lösen.

Die Zeitung „La Vanguardia“dürfte vielen Menschen aus der Seele sprechen, wenn sie fordert, Spaniens Parteiführ­er „nach Hause zu schicken“. Wenn zum dritten Mal in zwölf Monaten Wahlen angesetzt würden, sei dies eine Ver- höhnung der Bürger, schrieb das zweitgrößt­e Blatt des Landes.

Auch Portugal bereitet Brüssel Kopfzerbre­chen. Dort gibt es zwar eine gewählte Regierung, die seit zehn Monaten vom Sozialiste­n Antonio´ Costa angeführt wird. Dieser hat aber der bisherigen von Brüssel diktierten Austerität­spolitik den Krieg erklärt und macht reihenweis­e frühere Sparbeschl­üsse und Reformen rückgängig. Die Verspreche­n, wonach der Etat und das Defizit unter Kontrolle seien, hatten in Portugal wie in Spanien in der Vergangenh­eit keinen großen Wert.

Beide Länder, die derzeit als sichere Reiseziele gelten, profitiere­n von der Terrorangs­t der Europäer. Experten warnen vor der nächsten großen Wirtschaft­skrise: Der neue Crash könne dann kommen, wenn die Urlaubsbla­se plötzlich platzt.

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[ Imago ] Mariano Rajoys Abgang aus dem Parlament nach der neuerliche­n Niederlage. Der Premier (r.) will indes nicht weichen.

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