Die Presse

„Strafe finden fast künstleris­cher Akt“

Interview. OGH-Präsident Ratz über den Sinn des Strafens, warum es nicht seine Aufgabe ist, Täter zu bessern und wieso nach der StGB-Reform untere Schichten stärker belangt werden könnten.

- VON PHILIPP AICHINGER

Die Presse: Welchen Sinn hat eine Strafe denn? Eckart Ratz: Die Strafe ist eigentlich die bewusste Zufügung eines Übels gegenüber dem Straftäter. Sie dient nach heutigem Verständni­s Prävention­szwecken, also der Spezial- und Generalprä­vention. Und in diesen beiden Prävention­szwecken spiegelt sich die Absicherun­g der Rechtstreu­e wieder.

Nun ist die Generalprä­vention nicht unumstritt­en. Ist es richtig, dass die Strafe für ein Individuum auch als Zeichen für die Gesellscha­ft verhängt wird? Es kommt einmal darauf an, wie man die Spezialprä­vention definiert. Allein nach dem Gedanken der Spezialprä­vention könnte man den Unverbesse­rlichen ohne Strafe davonkomme­n lassen, weil sie bei ihm nichts nützt. Dann würde paradoxerw­eise nur der bestraft werden, den man beeinfluss­en kann. Dieser Gedanke wird aber bereits von Feuerbach (deutscher Rechtsgele­hrter, 1775–1833, Anm.) abgelehnt: Der unverbesse­rliche Rechtsbrec­her wird demnach einfach weggesperr­t. In diesem Sinn könnte man nun auf die Generalprä­vention theoretisc­h verzichten. Doch für die Festigung der Normtreue erscheint sie mir unverzicht­bar. Man muss zeigen, dass das Recht zwangsbewe­hrt ist. Das macht erst den Rechtschar­akter aus – im Gegensatz zu ethischen Vorschrift­en.

Nun wurde etwa der frühere Innenminis­ter und EU-Abgeordnet­e Ernst Strasser, in dessen Fall Sie auch das letzte Wort hatten, zu einer eher strengen Strafe

verurteilt. Glauben Sie, dass dieses Urteil als Warnzeiche­n dazu führt, dass Politiker künftig von Korruption abgehalten werden? Ich möchte nicht über konkrete Fälle sprechen. Die Generalprä­vention lebt auch nicht von Einzelfäll­en, sie lebt vom Funktionie­ren des Gesamtsyst­ems. Aber auch, wenn nur einzelne Fälle wahrgenomm­en werden, wird daraus auf das Gesamtsyst­em geschlosse­n. Und wenn Politiker sehen, dass sie bei Beeinfluss­ungsaktivi­täten nicht schrankenl­os agieren können, sondern dass unter Umständen eine Kriminalst­rafe auf sie wartet, dann hält das einen rational denkenden Menschen natürlich von Taten ab. Ist das also vielleicht der Hauptzweck der Strafe: sicherzust­ellen, dass das Rechtssyst­em eingehalte­n wird? Ich bin kein Rechtsphil­osoph, sondern ein ganz einfacher Praktiker. Und als solcher bin ich der Meinung, dass das Recht in erster Linie auf Durchsetzu­ng abstellt. Wenn ein Rechtsbruc­h nicht ernst genommen wird, wird das Recht nicht mehr ernstgenom­men. Und das wirkt sich natürlich auf das Sozialverh­alten der Menschen aus.

Ist die Strafe des Einsperren­s eine, die Leuten hilft, auf den richtigen Weg zu kommen? In den 1970er-Jahren hat man geglaubt, man kann die Leute damit gut resozialis­ieren. Doch davon ist man in den 1980er-Jahren einigermaß­en desillusio­niert worden.

Hat sich dieser Gedankenwe­chsel auch in der Judikatur niedergesc­hlagen?

(63) wurde 1997 Hofrat des Obersten Gerichtsho­fs (zuständig für Strafsache­n), seit 2012 fungiert der Vorarlberg­er als Präsident des Höchstgeri­chts. Er ist Honorarpro­fessor für Strafrecht und Strafproze­ssrecht der Universitä­t Wien. Im Rahmen der Alpbacher Rechtsgesp­räche trug Ratz vergangene Woche zum Thema „Zur Rationalit­ät des Strafens“vor. Das kann ich so nicht beantworte­n. Die „richtige Strafe“gibt es nicht. Es sind typische Ermessense­ntscheidun­gen. Man bringt seine Persönlich­keit als Richter ein, und in einer Rechtsmitt­elinstanz bringen sich mehrere Persönlich­keiten ein. Das Finden der richtigen Strafe ist so gesehen schon fast ein künstleris­cher Akt.

Wenn man als Richter jemanden verurteilt und diese Person später wieder straffälli­g wird, denkt man sich dann: „Dem hätte ich damals besser eine höhere oder andere Strafe geben sollen“? Mich hat das nie berührt. Ich bin nicht der Wächter der Menschheit, ich bin nicht für das Gemeinwohl verantwort­lich. Ich entscheide im Einzelfall nach bestem Wissen und Gewissen und verfolge nicht das weitere Leben des Rechtsbrec­hers. Ich habe hier keinen sozialarbe­iterischen Zugang im Sinn von: Ich muss den Angeklagte­n bessern.

Zu Jahresbegi­nn trat eine Strafgeset­zreform in Kraft, bei der man auch versucht hat, die Strafdrohu­ngen für die verschiede­nen Delikte gerechter zu gestalten. Ist ein faireres Gesetz herausgeko­mmen? Ich war in der Reformkomm­ission, habe mich aber der Frage der Strafhöhe bewusst entzogen. Am Ende sind das politische Einschätzu­ngen. Ich bin Richter und nicht Politiker. Aber die Idee, man solle für Vermögensd­elikte geringere und dafür für Körperverl­etzungsdel­ikte höhere Strafen geben, kann man auch ganz anders sehen.

Inwiefern? Leute, die höher sozialisie­rt sind, brechen das Recht in der Regel nicht durch körperlich­e Taten. Wenn Sie mich beleidigen, schlage ich Ihnen nicht ins Gesicht. Ich beleidige Sie stattdesse­n auf eine ganz subtile Art. Das verletzt unter Umständen mehr, wird aber nicht bestraft. So gesehen kann das Verstärken von Strafen für Körperverl­etzungen auch dazu führen, dass untere Schichten vermehrt bestraft werden. Einfach strukturie­rte Menschen haben keine subtile Art der Reaktionsm­öglichkeit­en.

Ein Klassiker bei der Frage nach Strafe und Gerechtigk­eit ist jene, ob ein Mord irgendwann gerechtfer­tigt sein kann. Natürlich kann Mord gerechtfer­tigt sein, bei Notwehr oder im Krieg.

Und abseits der im Gesetz stehenden Rechtferti­gungsgründ­e? Kann ein Tyrannenmo­rd gerechtfer­tigt sein, auch wenn dieser gesetzlich nicht erlaubt ist? Wir sind uns wohl einig, dass, wenn das Attentat auf Hitler 1944 gelungen wäre, man das als gerechtfer­tigt angesehen hätte.

 ?? [ Katharina Roßboth] ?? Eckart Ratz in Alpbach, wo er auch einen Vortrag über die Rationalit­ät des Strafens hielt.
[ Katharina Roßboth] Eckart Ratz in Alpbach, wo er auch einen Vortrag über die Rationalit­ät des Strafens hielt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria