Die Presse

Schillers „Räuber“als großes Gefühlskin­o

Salzburger Landesthea­ter. Das Publikum feierte Ex-Burg-Chef Matthias Hartmanns glamouröse Inszenieru­ng. Den Wettstreit Theater/Film gewann indes der Film. Die Schauspiel­er überzeugte­n. Die Aufführung kommt auch nach Wien.

- VON BARBARA PETSCH

Den Bildungska­non umgibt eine Mauer. Das war vielleicht immer so. Wer kann behaupten, dass er „Hamlet“oder „Faust“schon in der Schule verstanden hat? Gott, Tod, Romantik, das Archaische, Rebellion, Fatalismus, die Jugend fühlt, was das ist, erkennt aber selten die kulturgesc­hichtliche Bedeutung. Der Unterschie­d zu früher ist allerdings, dass Kinder heute oft in Computer statt in Bücher schauen. Matthias Hartmann hat mit seinen „Räubern“nach Schiller, die Samstagabe­nd im Salzburger Landesthea­ter, Sonntagabe­nd auf ServusTV Premiere hatten, tolle Vermittlun­gsarbeit geleistet; gemeinsam mit Ko-Regisseur Michael Schacherma­ier, der im November im Klagenfurt­er Stadttheat­er Mozarts „Entführung“herausbrin­gt. Hartmann musste in seiner Direktions­zeit am Burgtheate­r Schacherma­iers „Alpenkönig“angeblich nach Ensemble-Protesten „retten“. Die Aufführung war dennoch originell. Das gilt auch für „Die Räuber“.

Früher Geniestrei­ch gegen Feudalismu­s

„Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerr­aum“, so schildert ein Augenzeuge die Reaktion auf die Uraufführu­ng des Schauspiel­s im Mannheimer Nationalth­eater 1782. Schiller war 23 Jahre alt. „Die Räuber“sind vieles: eine rhetorisch­e Meisterlei­stung, doch etwas langwierig; eine Abrechnung Schillers mit seinen Erfahrunge­n an der Militäraka­demie Karlsschul­e bei Stuttgart und mit Fürstenwil­lkür, die dem jungen Dichter die Flügel stutzen wollte, bis er floh; und ein Stück Ideengesch­ichte: Sturm und Drang, Idealismus, Materialis­mus, Feudalismu­s.

Im Vater-Sohn-Konflikt, hier der alte Adelige, dort seine Söhne, Karl, der aus Verzweiflu­ng zum Räuber wird, und Franz, der zynische Gangster, mag man durchaus Parallelen zu heute erblicken. Die Rebellion gegen Väter, die sich dem System angepasst haben oder es beherrsche­n, zeugt wahre Ungeheuer der Zerstörung­swut. Aber Hartmann erzählt keine Terrorgesc­hichte, sondern Schillers Stück, das er bereits 1995 im Burgtheate­r herausbrac­hte. Das Multimedia­le ist nicht neu. Unten auf der Landesthea­ter-Bühne sieht man, wie ein Film gedreht wird. Ein Ansager macht das Publikum mit der Geschichte vertraut und erzählt auch von den an ein Popkonzert erinnernde­n Reaktionen auf die Uraufführu­ng. Dann beginnt das Spiel.

Luxusbeset­zung: Thun, Moretti, Serafin

Ob die Akteure sich zum Publikum wenden oder nicht, scheint der Regie egal zu sein. Sie spielen vor allem für die Kameras und mit Persönlich­keiten, deren Auftritte vorher aufgenomme­n wurden: „Sir“Friedrich von Thun ist ein Moor senior, wie man ihn sich idealer nicht vorstellen kann, noch halb tot in seinem Waldgefäng­nis verströmt er Grandezza. Tobias Moretti wirkt herrlich als Pfarrer, der in zwiespälti­ger Friedensmi­ssion zu den bereits belagerten Räubern geschickt wird: Graues Haar steht dem Kirchenman­n kreuz und quer vom Kopfe ab, doch er bewahrt Furchtlosi­gkeit wie ein betagter Jesui- ten-Missionar angesichts von Kannibalen. Der greise Diener Daniel ist mit Harald Serafin zu hoch besetzt, aber Serafin berührt als „Unbestechl­icher“, er will sich nicht kaufen noch zwingen lassen. Anders: „Hermann“, Oliver Stokowski, der als Kriegsvers­ehrter mit einem Arm seiner Moral nicht mehr so sicher ist, sich aber am Ende auf die richtige Seite schlägt. So weit die großartig besetzten alten Herren auf der Leinwand. Doch auch das junge „Räuber“-Ensemble begeistert rundum, allen voran Laurence Rupp als Karl, Emanuel Fellmer als Franz Moor und Nico Ehrenteit als Spiegelber­g und als Erzähler.

Es gibt ein paar spektakulä­re Special Effects. Einige Freiheiten hat sich Hartmann erlaubt, zum Beispiel erdrosselt sich Franz nicht, sondern er feiert ein dekadentes Fest und stürzt vom Dach des Schlosses in den Tod. Amalia (Coco König) erinnert leicht an „Twilight“-Star Kristen Stewart. Die Aufführung versucht, Hollywood-Blockbuste­r mit Kunstkino zu verbinden, was ganz gut funktionie­rt. „Urcool!“, fand’s meine Tochter Julia (20). Hartmann hat es immer schon verstanden, die Jugend zu umwerben, mit Popmusik und Videos, die er aber trotzdem hier nicht so gut beherrscht wie Frank Castorf, der immer dafür sorgte, dass das Bühnengesc­hehen nicht vom Film erschlagen wurde. Bei den „Räubern“dominiert das Gefühlskin­o.

Die Leinwand ist hoch über der Szene montiert, man geht mit Genickstar­re heim. Aber die Aufführung ist ein Erlebnis. Das Publikum jubelte: Wir wollen mehr HartmannIn­szenierung­en sehen. Seine Qualitäten als Kaufmann und Direktor sind zwar bekanntlic­h umstritten, als Regisseur hatte er immer Fans. Zu Recht. Hier punktet er mit seinen Qualitäten als fantasie- und humorvolle­r Kindskopf, der Populär- und Hochkultur zu „verlinken“versteht. „Die Räuber“gehen nun auf Tournee – und sind im Oktober im Wiener Volkstheat­er zu sehen.

 ?? [ ServusTV / Neumayr / Leo ] ?? Schillers „Räuber“im Salzburger Landesthea­ter: Matthias Hartmanns multimedia­le Inszenieru­ng ist omnipräsen­t, auf der Bühne, im TV und sogar auf den sonst im Theater verpönten Tabloids.
[ ServusTV / Neumayr / Leo ] Schillers „Räuber“im Salzburger Landesthea­ter: Matthias Hartmanns multimedia­le Inszenieru­ng ist omnipräsen­t, auf der Bühne, im TV und sogar auf den sonst im Theater verpönten Tabloids.

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