Die Presse

Toleranz (2): Der Weg in den totalitäre­n Staat durch Zwang

Das Europaparl­ament erwägt, jede Form von „Intoleranz“zu verbieten, zu verfolgen und Jugendlich­e notfalls umzuerzieh­en.

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Auf den ersten Blick wirkt das Papier, als ob es nur völlig Selbstvers­tändliches vorschlägt. Es stammt vom Europäisch­en Rat für Toleranz und Versöhnung (ECTR), einer einflussre­ichen Nichtregie­rungsorgan­isation unter dem Vorsitz von Tony Blair, die praktische Empfehlung­en für Regierunge­n und Organisati­onen in Fragen der Toleranz abgibt. Das im Jahr 2015 in seiner Endfassung vorgelegte Papier mag ursprüngli­ch gut gemeint gewesen sein. Bei genauerem Hinsehen beinhaltet es jedoch einen Toleranz-Zwang und würde das Ende jeglicher offen geäußerter Kritik bedeuten, sollte es wie geplant vom EU-Parlament beschlosse­n und von den EU-Staaten umgesetzt werden.

Der Text nennt sich „Europäisch­es Rahmenstat­ut zur Förderung der Toleranz“und birgt einigen Sprengstof­f. In der Einleitung heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, einen wirkungsvo­llen Mechanismu­s bereitzust­ellen, um in europäisch­en Gesellscha­ften Toleranz zu fördern und Intoleranz zu unterdrück­en.“Zu unterdrück­en! Im Text gipfelt diese Absicht in der Formulieru­ng: „Es ist nicht nötig, tolerant gegenüber den Intolerant­en zu sein.“Das mag etwa in Hinblick auf radikale und fundamenta­listische Gruppen plausibel klingen, ist jedoch nicht näher definiert und dadurch höchst problemati­sch.

Überhaupt fällt die unklare Begriffsbe­stimmung und die nicht näher benannten „Gruppen“, die vor Intoleranz geschützt werden sollen, auf. In dem Papier ist der Begriff Toleranz weit gefasst als „Respekt vor und Akzeptanz gegenüber dem Ausdruck, der Erhaltung und der Entwicklun­g der besonderen Identität einer Gruppe.“Ein weiterer Passus besagt, der Zweck der Richtlinie sei es, „alle Erscheinun­gsformen der Intoleranz, die aus Voreingeno­mmenheit, Fanatismus und Vorurteile­n herrühren, zu verurteile­n.“Wie Voreingeno­mmenheit festgestel­lt wird, ist unklar und bedeutet, dass es keine Kritik an irgendwelc­hen Gruppen geben darf, die sich dadurch intolerant behandelt fühlen könnten – das Ende jeglicher Debatte und kritischen Auseinande­rsetzung! In einer Erklärung dazu heißt es: „Unter religiöse Intoleranz fällt auch Islamophob­ie“. Damit benutzt man einen an sich problemati­schen und von Fundamenta­listen als Kampfmitte­l gebrauchte­n Begriff.

Eine Kommission und eine im Justizoder Innenminis­terium angesiedel­te Stelle sollen über die Durchsetzu­ng der Richtlinie­n wachen. Opfer vermeintli­cher Intoleranz können klagen und erhalten einen vom Staat finanziert­en Rechtsbeis­tand. Es ist ein Zug der Zeit, dass heute alle Opfer sein wollen, jeder fühlt sich irgendwie diskrimini­ert oder nicht toleriert. Es ist also zu erwarten, dass bei einer Umsetzung so schwammig formuliert­er und gleichzeit­ig so umfassende­r Bestimmung­en eine Klageflut entsteht.

Jugendlich­e, die sich eines „Hassverbre­chens“schuldig gemacht haben, sollen ein Umerziehun­gsprogramm absolviere­n müssen. Als schwere Straftat soll übrigens schon die „Diffamieru­ng einer Gruppe“gelten. In den Schulen soll es „Toleranz-Unterricht“geben. Natürlich hat man auch an die mediale Umerziehun­g gedacht: Die Regierunge­n müssen die öffentlich­rechtliche­n TV- und Radiostati­onen auffordern, einen vorgeschri­ebenen Anteil der Programme der Toleranz zu widmen. Private Massenmedi­en sollen finanziell­e Förderunge­n erhalten, wenn sie Themen zur Toleranz bringen. Und natürlich sollen alle Inhalte im Internet, die Intoleranz fördern könnten, entfernt werden.

Liest man all diese Vorhaben, steht zu befürchten, dass dies nicht in eine toleranter­e und offenere Gesellscha­ft mündet, sondern in das Ende der Meinungsfr­eiheit, dem Gesinnungs­terror nicht näher definierte­r Gruppen, in den Überwachun­gsstaat und in Gehirnwäsc­he, also in einen totalitäre­n Staat.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses absurde Rahmengese­tz rasch im Papierkorb versenkt wird und die Europäisch­en Institutio­nen sich mit wirtschaft­spolitisch­en Themen beschäftig­en, statt den Bürgern in kontraprod­uktiver Weise Moral verordnen zu wollen.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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