Die Presse

Ade Benya-Formel: Die alten Regeln greifen nicht mehr

Lohnrunde. Während die Gewerkscha­ft Inflation und Produktivi­tät weiter als Verhandlun­gsbasis annimmt, fordern die Arbeitgebe­r ein Umdenken.

- VON HEDI SCHNEID

Wien. So animierend kann der leicht papriziert­e Duft eines guten Gulaschs sein: Mehr als eine Handvoll Verhandlun­gsrunden brauchte es in der Vergangenh­eit nicht, damit sich Arbeitgebe­r und Gewerkscha­fter in der für die gesamte Industrie so richtungsw­eisenden Metallerlo­hnrunde einig wurden. Und die Abschlüsse konnten sich sehen lassen. Auch noch im Krisenjahr 2008 wirkte das alte Sozialpart­ner-Ritual – schließlic­h konnten die rund 180.000 Metaller ein Lohnplus von 3,8 Prozent einstreife­n: Zuerst wird mit den Säbeln gerasselt, dann mit den Muskeln gespielt – und letztlich der Pakt besiegelt.

Für stets gute Abschlüsse sorgte dabei zugegebene­rmaßen weniger das Gulasch (das inzwischen von Würsteln abgelöst worden ist), sondern eine Formel, die den Namen einer Ikone der heimischen Gewerkscha­ftsbewegun­g trägt: Anton Benya. Der langjährig­e ÖGB-Präsident (1963 bis 1987) hatte sie erfunden – mit dem Ziel, den arbeitende­n Massen ein wenig Wohlstand zu bringen und gleichzeit­ig der Wirtschaft genügend Luft zum Atmen zu lassen. Demnach richtet sich der Lohnabschl­uss nach der Inflation, auf die noch die Hälfte des Produktivi­tätszuwach­ses draufgesch­lagen wird. Jenem der Gesamtwirt­schaft, wohlgemerk­t.

So war es jahrzehnte­lang. Demnach hätten die Löhne im Jahr 2009, dem Jahr nach Lehman, in dem die Krise voll zuschlug, eigentlich sinken müssen. Denn von einem Produktivi­tätszuwach­s war weit und breit nichts zu sehen. Aber eine Nulllohnru­nde oder sogar einen Gehaltsver­zicht quer über eine ganze Branche – das wollten auch die Arbeitgebe­r nicht. Zu wichtig war der soziale Friede – gerade in der schwierigs­ten wirtschaft­lichen Phase seit Langem.

Der Ton wird rauer

Diese Harmonie scheint nun der Vergangenh­eit anzugehöre­n. Vor allem der extrem hohe Lohnabschl­uss im Jahr 2011 und der nur wenig geringere 2012 (siehe Grafik) – als beide Seiten der Euphorie erlagen, die Wirtschaft hätte das Tief ein für alle Mal überwunden – steckt den Unternehme­n in den Knochen. Die Arbeitgebe­r haben ihre vornehme Zurückhalt­ung abgelegt, schließlic­h taumelt die Wirtschaft von einem Rückschlag zum nächsten und wichtige Exportmärk­te wie Russland sind nach dem Embargo zum großen Sorgenkind geworden.

Dass der Ton, der immer distanzier­t-höflich war, sehr viel rauer geworden ist, zeigte die vorjährige Runde: 16 Treffen hat es bedurft und einer Streikdroh­ung, bis nach einer nächtliche­n Marathonsi­tzung eine Einigung zustande kam. „Der Berg kreißte und gebar eine Maus“, fällt einem dazu der Spruch des römischen Dichters Horaz ein. Denn abgesehen von den 1,5 Prozent Lohnplus kam nichts heraus. Für das heiße Eisen Flexibilis­ierung bedurfte es weiterer Gespräche, die erst im Juni des heurigen Jahres zu einer – zugegebene­rmaßen zeitgemäße­n – Regelung führten.

Aber der Vorsatz, mehr um Inhalte statt nur um eine Zahl zu feilschen, scheint bereits wieder vergessen zu sein. Am Montag wird die Gewerkscha­ft ganz gegen die bisherige Gepflogenh­eit gleich eine Zahl auf den Tisch knallen, heißt es. Bei den Unternehme­n dürfte das nicht gut ankommen. Denn die wollen die gute alte Benya-Formel ohnedies nicht mehr anwenden. „Die ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt der Obmann des größten Metaller-Fachverban­des FMMGI, Christian Knill. Zu unterschie­dlich entwickelt­en sich die sechs Sparten – von der Maschinen- über die Metallware­n- bis zur Gießerei- und Fahrzeugin­dustrie. Er fordert, sich vielmehr an der branchensp­ezifischen Produktivi­tät und den Gewinnen zu orientiere­n. Das wäre vielleicht ohnedies besser. Denn die als Basis für die KV-Runde zählende Inflations­rate liegt heuer nur bei 0,8 Prozent und die Produktivi­tät wird laut Wifo nur um 0,8 Prozent zunehmen.

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