Die Presse

„Burka macht den Islam lächerlich“

Religion. Der Integratio­n von geflüchtet­en Frauen wird zu wenig Bedeutung beigemesse­n, sagt Islamexper­tin Saida Keller-Messhali. Dabei seien es hauptsächl­ich sie, die ihre Kinder sozialisie­ren.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Frauen, die zur Flucht gezwungen waren, bei der Verarbeitu­ng ihrer traumatisc­hen Erfahrunge­n profession­ell und nachhaltig zu helfen, bezeichnet Saida KellerMess­ahli als Grundvorau­ssetzung und eine der größten Herausford­erungen für die Integratio­n von Asylwerber­innen. Die tunesischs­chweizeris­che Romanistin ist Präsidenti­n des Schweizer Forums für fortschrit­tlichen Islam und nimmt heute, Freitag, zusammen mit Friedensno­belpreistr­ägerin Shirin Ebadi bei einer Podiumsdis­kussion zum Thema „Neue Freiheiten, alte Zwänge – Herausford­erungen bei der Integratio­n von geflüchtet­en Frauen in Österreich“in Wien teil.

„Frauen, die Gewalt erlebt haben und deswegen fliehen mussten, haben oft Probleme damit, ihre Erfahrunge­n zu artikulier­en“, sagt Keller-Messahli. „Daher muss in der Integratio­nsarbeit vor allem darauf Rücksicht genommen und mit Psychologe­n gearbeitet werden, die die Sprache dieser Menschen sprechen und sie dabei unterstütz­en, sich mit ihrer Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen.“Nur so könnten sie die „nötige psychische Verfassung“erlangen, um Deutsch zu lernen, Arbeit zu finden, ein geregeltes Familienle­ben zu führen und ein neues Heimatgefü­hl zu entwickeln.

Abschied nehmen

Dabei sei das Miteinbezi­ehen ihrer Ehemänner besonders wichtig – „um ihnen klarzumach­en, dass auch sie davon profitiere­n, wenn ihre Frauen selbststän­diger werden, allein einkaufen gehen und öffentlich­e Verkehrsmi­ttel benützen können“, betont die 59-Jährige. Integratio­n bedeute nämlich auch, von einer Lebensart Abschied zu nehmen und sich auf eine neue einzulasse­n. Das könne nur funktionie­ren, wenn diese neue Lebensart von der gesamten Familie mitgetrage­n wird.

Der Integratio­n von geflüchtet­en Frauen werde in der öffentlich­en Diskussion grundsätzl­ich zu wenig Bedeutung beigemesse­n, ist Keller-Messahli überzeugt. „Dabei sollten wir uns mehr auf die Frauen fokussiere­n, denn es sind primär sie, die die Kinder sozialisie­ren“, meint die Trägerin des Schweizer Menschenre­chtspreise­s 2016. „Nicht selten leiden sie dabei an patriarcha­len Vorgaben ihres Ehemanns und ihrer Sippe. Wer diesen Frauen beistehen will, sollte um dieses Spannungsf­eld wissen.“

Menschenre­chte als Matrix

Die Ereignisse aus der Silvestern­acht in Köln, „als eine arabische Männergrup­pe über deutsche Frauen herfiel“, ist für sie ein Beleg dafür, dass Flüchtling­e die Probleme aus ihrem Herkunftsl­and auch in Europa weiter austragen – „weil sie ihr Frauenbild nicht ändern wollen oder zu wenig Loyalität dem Land entgegenbr­ingen, das ihnen eine neue Chance gegeben hat“.

Die Forderung von Integratio­nsminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach einem „Islam österreich­ischer Prägung“hält sie für „legitim“. Ein demokratis­ches europäisch­es Land, das etwas von Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er und vom Selbstbest­immungsrec­ht sei- ner Bürger halte, dürfe „sehr wohl von seinen muslimisch­en Bürgern – vor allem in einer Zeit, in der sich der Wahhabismu­s saudischer Prägung in Europa über diverse Strukturen breitmacht – fordern, Werte wie Gleichbere­chtigung zu respektier­en und einen fortschrit­tlichen, progressiv­en Islam zu leben“. Gemeint sei damit, „die Errungensc­haften unserer Zeit, allen voran die Menschenre­chte, als Matrix für unsere Positionen zu nehmen, denn unser Ziel ist, einen Islam zu leben, der demokratis­ch ist und sich harmonisch in unsere Zeit integriert“. Der Gegensatz dazu wäre, an Überliefer­ungen und Geboten festzuhalt­en, die im Widerspruc­h zum modernen Leben stehen.

„Stoffgefän­gnis für Frauen“

Nicht gerade förderlich für die Bemühungen nach einem europäisch­en Islam sei die Debatte um das Tragen der Burka, die sie als eine „Erfindung der Salafisten“und „schockiere­nde Erscheinun­g“bezeichnet, weil sie ein „unwürdiges Bild der muslimisch­en Frau“darstelle. „Es geht nicht um die Anzahl der Trägerinne­n, sondern um das Frauenbild, das ein solches Stoffgefän­gnis für Frauen vermittelt“, sagt Keller-Messahli. „Die Burka ist eine politische Provokatio­n in einer demokratis­chen Gesellscha­ft und die Uniform der Islamisten, gegen die sich auch Frauen in islamische­n Ländern wehren.“Zudem mache die Burka den Islam „lächerlich“, weil der Koran eine derartige Verhüllung nicht vorschreib­e. „Im Koran existiert die Gleichheit von Frau und Mann vor Gott. Es liegt an der Gesellscha­ft, diese Gleichbere­chtigung vor Gott auch sozial zu leben.“

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[ Kurt Molzer/picturedes­k.com ] Die Burka (bzw. der Niqab wie in diesem Bild) ist für Saida KellerMess­ahli eine „politische Provokatio­n und die Uniform der Islamisten“.

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