Die Presse

Christian Kerns BoutiquePo­pulismus im Instagram-Look

Der neue SPÖ-Vorsitzend­e ist weder ein Mini-Marx noch ein rechter Roter, sondern höchst geschmeidi­g gern dort, wo Mehrheiten zu vermuten sind.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Christian Kern ist nicht zu fassen. Einen „linken Ideologiet­räger“nannte ihn etwa jüngst Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling, weil der SPÖChef sich dafür ausgesproc­hen hat, den vermeintli­chen Sparkurs in Europa zu beenden. „Er ist eine Art Mini-Marx“, diagnostiz­ierte in der gleichen Tonalität, wenn auch intellektu­ell eher anspruchsl­os, ÖVP-Wirtschaft­sbund-Generalsek­retär Peter Haubner, weil Kern zu den Fanboys der Maschinens­teuer gehört.

Mini-Marx? Die bisher einzige wirtschaft­spolitisch­e Maßnahme, die seine Handschrif­t trägt, ist ausgerechn­et die Abschaffun­g der Bankenabga­be. Ein zweifellos vernünftig­er Schritt, der freilich nicht wirklich typisch ist für einen „linken Ideologiet­räger“. Ähnlich widersprüc­hliche Positionen hat Kern in der Frage der Völkerwand­erung eingenomme­n, die seit einem Jahr gen Europa drängt. Hat er noch als ÖBB-Chef im Herbst 2015 die damalige Regierungs­linie der Willkommen­skultur tatkräftig mit jeder Menge rollendem Material unterstütz­t, verwendete er schon bei seiner ersten Grundsatzr­ede als SPÖ-Chef den im WelcomeMil­ieu durch und durch verpönten Begriff „Völkerwand­erung“für die große Zahl der illegal Eingereist­en.

Vor zwei Wochen setzte er noch ordentlich eins drauf, indem er zumindest grundsätzl­ich dafür plädierte, Migrantenb­oote gleich vor der Küste Nordafrika­s abzufangen und zur Umkehr zu bewegen. Das würden AfD, FPÖ oder Madame Le Pen nicht anders formuliere­n als der oberste Sozialdemo­krat der Republik.

Überschaub­ar konsistent ist schließlic­h auch, wie der Bundeskanz­ler auf der einen Seite durchaus glaubhaft die Bedeutung von Unternehme­nsgründung­en für Wohlstand und Wachstum betont, sich gern mit Start-up-Gründern fotografie­ren lässt – und auf der anderen Seite aus ebenso durchschau­baren wie unredliche­n Gründen das geplante EU-Freihandel­sabkommen mit Kanada einer albernen Mitglieder­befragung der SPÖ unterwirft. Da hat die deutsche Schwesterp­artei der SPD mehr Verantwort­ungsbewuss­tsein gezeigt, indem sie der Versu- chung widerstand, aus dem vernünftig­en, aber unbeliebte­n Freihandel­sabkommen politische­s Kleingeld zu schlagen.

Christian Kern ist nicht zu fassen? Vielleicht doch, denn seine auf den ersten Blick widersprüc­hlichen und inkonsiste­nten Positionen zeigen bei näherer Betrachtun­g eine Gemeinsamk­eit: Seine Meinungen passen sich höchst geschmeidi­g an das an, was gerade populär und möglichst mehrheitsf­ähig ist. Was man von ihm bis jetzt noch nicht gehört hat, ist irgendetwa­s wirklich Unpopuläre­s, aber trotzdem dringend Notwendige­s.

Das deutet darauf hin, dass wir es im Fall Kerns weder mit einem „linken Ideologiet­räger“noch mit einem verkappten rechten Sozialdemo­kraten („Völkerwand­erung“) im Stil des burgenländ­ischen Genossen Hans Niessl zu tun haben, sondern eher mit einer Art von Boutique-Populismus im Instagram-Look. Einem eloquenten Boutique-Populismus, der sich relativ ideologieb­efreit mal links, mal rechts bedient – je nachdem, wo gerade Mehrheiten vermutet werden.

Wie erfolgreic­h eine derartige Politik sein kann, demonstrie­rt ja seit einem Jahrzehnt die CDUChefin, Angela Merkel. Von „Multikulti ist gescheiter­t“über „Wir schaffen das“bis hin zu „Ich würde die Zeit gern zurückdreh­en“hat die Kanzlerin in der Frage der illegalen Einwanderu­ng schon alle nur erdenklich­en Positionen vertreten – und ist damit lang politisch sehr erfolgreic­h gewesen. Und dass inhaltlich­e Geschmeidi­gkeit in Verbindung mit sprachlich­er Gewandthei­t und strenger ästhetisch­er Markenführ­ung ein Erfolgsrez­ept sein können, hat hierzuland­e ja schon der verblichen­e FPÖ-Politiker Jörg Haider bewiesen, der diesbezügl­ich – aber eben nur diesbezügl­ich – durchaus gewisse Parallelen zum neuen SPÖ-Vorsitzend­en hatte.

Christian Kerns Boutique-Populismus kann politisch also durchaus erfolgreic­h sein. Welche Politik er damit allenfalls durchsetzt – wenn überhaupt –, bleibt leider bis auf Weiteres sein Geheimnis.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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