Die Presse

Leopoldsta­dt: Gute Chance für Wahlanfech­tung

Wiederholu­ng der Wiederholu­ng? Die Bezirkswah­l in der Leopoldsta­dt wird nochmals angefochte­n. Laut Aussagen der Verfassung­srechtler Theo Öhlinger und Bernd-Christian Funk müsste auch diese Wahl aufgehoben werden.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Wien. Das Szenario einer Wiederholu­ng der Wiederholu­ng der Bezirksver­tretungswa­hl in der Leopoldsta­dt nimmt konkrete Formen an. Die EU-Austrittsp­artei hat den Urnengang, wie am Freitag bekannt wurde, bei der Stadtwahlb­ehörde beeinspruc­ht. „Die Presse“bringt die wichtigste­n Fragen und Antworten.

1 Landet die Wiederholu­ng der Bezirkswah­l wieder vor dem Verfassung­sgerichtsh­of?

Die Stadtwahlb­ehörde will am Montag das Ergebnis amtlich bestätigen, womit eine vierwöchig­e Frist zur Wahlanfech­tung zu laufen beginnt. Parteichef Robert Marschall hat aber nicht nur dieses Ergebnis beeinspruc­ht, sondern auch den Gang zum Verfassung­sgerichtsh­of angekündig­t: „Aus meiner Sicht ist eine Wahlanfech­tung so gut wie sicher.“Dazu diskutiere­n die Neos am Dienstag bei einem öffentlich­en Bürgerforu­m am Donaukanal (Adria Wien, ab 19 Uhr), ob sie die Wahl ebenfalls anfechten.

2 Was sind die Argumente für eine neuerliche Wahlwieder­holung?

Schadhafte Wahlkuvert­s, die für ungültige Stimmen gesorgt haben. Zusätzlich seien die Unterschri­ften auf den Briefwahlk­uverts nicht geprüft worden, so der Vorwurf von Marschall, der eine Neuauszähl­ung der Stimmen fordert. Aus seiner Sicht würde eine Nachzählun­g ergeben, dass ein Mandat von den Grünen zur FPÖ wandern würde.

Die Neos dagegen haben einen Fall aufgedeckt, in dem ein Wiener nachweisli­ch um sein Wahlrecht gebracht wurde. Er fand am Tag nach der Wahl eine Verständig­ung in seinem Postfach, dass seine Wahlkarte defekt eingetroff­en sei – er möge sie umtauschen kommen („Die Presse“berichtete).

3 Welche Chancen hat die Anfechtung der Wahlwieder­holung vom Sonntag?

„Wien hat einen massiven Aufwand betrieben, schadhafte Karten umzutausch­en, aber nicht alle erreicht“, so Verfassung­sjurist Theo Öhlinger gegenüber der „Presse“. Verfassung­sjurist Bernd-Christian Funk ergänzt: „Diese Zahl dürfte für Mandatsver­schiebunge­n reichen. Wenn man sich die strenge Judikatur des Höchstgeri­chts ansieht, ist es naheliegen­d, wie die Entscheidu­ng ausfällt.“

Grundsätzl­ich gilt: Wer auf einen Austausch verzichtet hat, hat auf sein Wahlrecht verzichtet. „Bei denen, die nicht erreicht wurden, weil sie verreist waren, ist das sicher ein Problem“, so Öhlinger: „Man weiß nicht, wie sie gewählt hätten.“Der VfGH gehe davon aus, dass theoretisc­h alle diese Stimmen einer Partei zugeflosse­n sein könnten.

Das bedeutet: Wurden so viele Wiener um ihr Wahlrecht gebracht, dass auch nur ein Mandat verschoben werden könnte (wovon Funk ausgeht) wird die Wahl aufgehoben. Dabei reiche die Wahrschein­lichkeit für Unregelmäß­igkeiten, so Öhlinger. Diese Rechtsausl­egung verbessert die Aussichten auf eine erfolgreic­he Anfechtung enorm – können doch z. B. die Neos nicht nur Verdachtsm­omente, sondern sogar einen entspreche­nden Beweis vorlegen. Dazu kommt: Wer die Wahl anficht, muss Unregelmäß­igkeiten nicht beweisen. Die Behörde hat die Beweispfli­cht und muss nachweisen, dass niemand um sein Wahlrecht gebracht wurde; was in diesem Fall fast unmöglich ist.

4 Wie kann die Stadt doch noch eine Wahlwieder­holung verhindern?

Sie muss das Höchstgeri­cht davon überzeugen, dass jene 800 Wiener, die ihre Wahlkarten trotz Aufforderu­ng nicht getauscht haben, freiwillig auf ihr Wahlrecht verzichtet haben. Beispielsw­eise, indem sie diese 800 Wiener anschreibt, mit der Bitte um Antwort, ob man freiwillig auf das Wahlrecht verzichtet habe. Wurden so viele Wiener um ihr Wahlrecht gebracht, dass ein einziges Mandat wandern könnte, wird die Wahl aufgehoben.

5 Was passiert, wenn wenige Wiener auf ein Schreiben der Behörde antworten?

Briefliche Befragunge­n haben traditione­ll eine sehr niedrige Rücklaufqu­ote. Damit könnte die Wahlbehörd­e nicht beweisen, dass die Betroffene­n freiwillig auf ihr Wahlrecht verzichtet haben – womit nach der bisherigen Spruchprax­is des Höchstgeri­chts die Wahl aufgehoben werden müsste. Dazu Öhlinger: „Der Verfassung­sgerichtsh­of ist rasch bei einer Aufhebung.“Nachsatz: „Die Frage ist, ob er es diesmal auch macht – weil es die zweite Wiederholu­ng wäre.“

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