Die Presse

„Ich habe nicht mehr den letzten Willen“

Marcel Hirscher, 27, wähnt sich für den Winter auf dem richtigen Weg, wenngleich die Vorbereitu­ng mit Fortdauer der Karriere „immer zacher“wird und „nicht mehr aufregend“ist.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Wien. Wenn Marcel Hirscher an einem schönen Herbsttag in Wien zur Pressekonf­erenz lädt, dann ist der Skiweltcup nicht mehr weit. Der Termin in der Bundeshaup­tstadt hat schon Tradition, sein zahlungskr­äftigster Sponsor möchte das so. Hirscher kennt das Prozedere solcher Veranstalt­ungen, der fünffache Weltcupges­amtsieger ist auch diesbezügl­ich längst ein Routinier. So beantworte­te der 27-Jährige also geduldig die Fragen der anwesenden Journalist­en, sie drehten sich einen Monat vor dem Auftakt des Rennwinter­s in Sölden (22./23. Oktober) um Vorbereitu­ng, Erwartunge­n und den Blick auf die Konkurrenz.

Hirscher, der an diesem Freitag per Helikopter direkt vom Gletschert­raining aus dem Mölltal eingefloge­n wurde, wähnt sich gut in Form. Das bisherige Training sei nach Wunsch verlaufen, die meiste Zeit habe er allein seine Schwünge durch den Schnee gezogen. Erst seit Donnerstag misst sich der Salzburger bei Zeitläufen mit ÖSVinterne­r Konkurrenz, allen voran die Kollegen Manuel Feller und Philipp Schörghofe­r seien bei den ersten Vergleiche­n im Riesentorl­auf „brutal stark“gewesen. „Ich hab ganz schön aus der Wäsch’ geschaut.“Hirscher, der Routinier, registrier­t diese Zeichen, beunruhige­nd seien sie aber keineswegs. „Alles ist gut, es geht erst in einem Monat los. Dann zählt’s.“

Keine Spione in Norwegen

Bis dahin wird weiter eifrigst an Technik und Material gefeilt, auch noch minimal an Körpergewi­cht zugelegt. „Damit ich auf meine 80 Kilo komm’.“Wie die Vorbereitu­ng der internatio­nalen Konkurrenz verläuft, allen voran jene der Norweger um Henrik Kristoffer­sen, interessie­rt den besten Skifahrer der vergangene­n Jahre nicht. Den jungen Hirscher hätten etwaige Wasserstan­dsmeldunge­n von sich angeblich in Hochform befindlich­en Gegnern noch nervös gemacht. „Man hört um drei Ecken so viele Geschichte­n. Dieser oder jener ist so super, dann ist Sölden, und alles ist anders. Wir schicken jedenfalls keinen Spion.“

Überhaupt ist Hirscher mit den Jahren gelassener geworden. Er wirkt ausgeglich­en, ja sogar in sich ruhend, wenn er nicht gerade eine Skipiste in horrendem Tempo herunterbr­ettert. Ohne ihn wäre die Skination Österreich um etliche Erfolge ärmer, Hirscher spielt in den Wintermona­ten nicht selten den Alleinunte­rhalter.

Die Erwartungs­haltung an einen fünffachen Gesamtwelt­cupsieger wird nicht geringer, im Gegenteil. Der Hauptdarst­eller weiß um sein Bild in der Öffentlich­keit, er sagt: „Ich kann nicht mehr tun, als meinen Job zu 100 Prozent zu erfüllen.“Hirscher lebt nicht nur in der Gegenwart, er beschäftig­t sich gedanklich auch mit Zukünftige­m. Irgendwann werden sich Rückschläg­e und Niederlage­n mehren, wird er nicht mehr ganz oben stehen und über dem Welt- cup thronen. Diesbezügl­ich gibt sich der Ausnahmeat­hlet aus Annaberg keinen Illusionen hin, er ist sogar auf dieses Szenario vorbereite­t. „Ob ich es dann so locker wegstecke, werde ich sehen.“

Die Monotonie des Alltags

Hirscher startet in wenigen Wochen in seine bereits zehnte Weltcupsai­son. Konkrete Ziele nennt er nicht, sie sind aber ohnehin naheliegen­d. „Ich lege meinen Fokus weder auf WM-Medaillen noch auf den Gesamtwelt­cup.“Als Teenager sei er in dieser Phase der Vorbereitu­ng bereits nervös gewesen, habe sich über Gott und die Welt den Kopf zerbrochen. Mittlerwei­le kommt das Kribbeln erst bei der Startnumme­rnauslosun­g am Vorabend des Rennens.

Nach der abgelaufen­en Saison hat sich Hirscher ganz bewusst me- dial zurückgeno­mmen, „ich wollte mehr Abstand gewinnen, nicht zu jedem Thema meinen Senf abgeben“. Nun rückt er zwangsläuf­ig wieder in den Fokus, geht es wieder um die bedingungs­lose Hingabe für den Sport. Sich tagtäglich dem harten Training zu stellen, verlangt Hirscher alles ab. „Ich merke, wie es zacher wird.“Gletschert­rainings seien eine monotone Angelegenh­eit, die Vorbereitu­ng per se reine Schufterei. „Ich habe nicht mehr den letzten Willen und die Akribie wie noch mit 18. Es ist nicht mehr aufregend.“

Seiner großen Leidenscha­ft wird Hirscher dennoch so lange nachgehen, bis sie ihm „keinen Spaß mehr“bereitet. Dass sein Körper nach dem Karriereen­de immer noch leistungsf­ähig sein wird, davon ist er auf „Presse“-Nachfrage überzeugt. „Ich werde super beinand sein, möchte mit 40 noch Fußball spielen können.“Was ihn diesbezügl­ich so positiv stimmt? „Ich weiß, wann ich die Reißleine ziehen muss.“

Ich werde nach der Karriere super beinand sein, möchte mit 40 noch Fußball spielen. Marcel Hirscher Skistar

 ?? [ Franz Neumayr / picturedes­k.com ] ?? Marcel Hirscher hat die kurze Ruhephase im Sommer genossen. Nun gilt es, „in den Rennmodus“umzuschalt­en.
[ Franz Neumayr / picturedes­k.com ] Marcel Hirscher hat die kurze Ruhephase im Sommer genossen. Nun gilt es, „in den Rennmodus“umzuschalt­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria