Die Presse

Schiedsger­ichte werden auf Eis gelegt

Handelsabk­ommen EU/Kanada. Die Handelsmin­ister einigten sich darauf, dass der Investoren­schutz erst dann aktiviert wird, wenn alle nationalen Parlamente den Pakt ratifizier­t haben.

- Von unserem Korrespond­enten MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel/Bratislava. „Ceta ist fertig.“Diese Botschaft hatte die für Handelsfra­gen zuständige EU-Kommissari­n Cecilia Malmström an die am gestrigen Freitag in Bratislava versammelt­en Handelsmin­ister der EU. Das Freihandel­sabkommen mit Kanada werde keinesfall­s wieder aufgeschnü­rt – wo es Bewegungss­pielraum gebe, sei bei der „juristisch­en Klarstellu­ng“einiger Aspekte des Pakts, betonte Malmström gestern. Die Brüsseler Behörde wolle jenen „wenigen, aber sehr wichtigen“Mitgliedst­aaten, die Bedenken geäußert haben, entgegenko­mmen, indem sie den nationalen Regierunge­n Argumente liefert, warum das Abkommen mit Kanada vorteilhaf­t sei.

Während die Handelskom­missarin versuchte, die Wogen zu glätten, langten beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe vier Eilanträge ein, die den vorläufige­n Stopp des Ratifizier­ungsprozes­ses in Deutschlan­d zum Inhalt haben. Die Verfassung­srichter wollen am 13. Oktober darüber befinden. Die Anträge richten sich vor allem gegen das System der Schiedsger­ichtbarkei­t, das Investoren vor staatliche­r Willkür schützen soll – Kritiker des Investoren­schutzes sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Diese Bemühungen in letzter Minute könnten allerdings ins Leere zielen, denn nach Auskunft des zuständige­n deutschen Ressortche­fs, Sigmar Gabriel, wird die entspreche­nde Passage des Abkommens erst eingefügt, wenn alle nationalen Parlamente das Abkommen ratifizier­t haben.

Die EU und Kanada verhandeln seit 2009 über Ceta, der Pakt soll beim bevorstehe­nden EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober unterzeich­net werden und anschließe­nd vorläufig zur Anwendung kommen. Endgültig ratifizier­t ist das Abkommen, wenn das Europapar- lament sowie alle nationalen Parlamente zustimmen – Ceta ist nämlich ein sogenannte­s gemischtes Abkommen, das nicht von der EUKommissi­on im Namen der Mitgliedst­aaten unterzeich­net werden darf. Normalerwe­ise darf die Brüsseler Behörde für Handelsfra­gen autonom agieren.

Dass dies bei Ceta nicht der Fall ist, hängt einerseits mit der Komplexitä­t des Abkommens zusammen, das über Zollfragen weit hinausgeht und politisch heiklere Themen der regulatori­schen Zusammenar­beit beinhaltet. Anderersei­ts weckt es Widerständ­e, weil es Kritikern als Blaupause für das transatlan­tische Freihandel­sabkommen mit den USA (TTIP) gilt. Zuletzt hatten vier EU-Mitglieder Bedenken artikulier­t: Belgien, wo zwei Regionalpa­rlamente Ceta als Einstieg für TTIP sehen, Rumänien und Bulgarien, die von Kanada die Aufhebung der Visapflich­t für ihre Staatsbürg­er fordern – sowie Österreich, wo die Front zwischen den Regierungs­parteien ÖVP (dafür) und SPÖ (skeptisch bis ablehnend) verläuft. Mit dem gestrigen Beschluss der Handelsmin­ister, die Schiedsger­ichte vorerst auf Eis zu legen, scheint sich die Atmosphäre innerhalb der Großen Koalition al-

CETA

Das Handelsabk­ommen mit Kanada wird seit 2009 verhandelt. Die EUKommissi­on erwartet, dass Ceta die europäisch­en Exporte nach Kanada um rund zwölf Mrd. Euro pusht und 140.000 Arbeitsplä­tze schafft. Kern des Pakts ist die gegenseiti­ge Anerkennun­g (bzw. Harmonisie­rung) von Produktsta­ndards, was Exporteure­n das Leben erleichter­n soll, sowie Rechtsschu­tz für Investoren. lerdings etwas entspannt zu haben. Laut Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP), der für die Materie zuständig ist, gibt es nun keine Gründe mehr, die Unterzeich­nung hinauszuzö­gern. Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) wiederum ortete gestern „Bewegung in die richtige Richtung“, wollte aber noch keine abschließe­nde Bewertung abgeben.

TTIP: „Schlechte Substanz“

Was das umfangreic­here Abkommen mit den USA anbelangt, stehen die Zeichen indes auf Rot. Daran, dass Washington und Brüssel wie geplant noch heuer handelsein­s werden, glauben nicht einmal geborene Optimisten. „Aus unserer Sicht ist TTIP faktisch eingestell­t“, sagte Mitterlehn­er, während sein deutscher Kollege Gabriel gestern von „schlechter Substanz“sprach.

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[ AFP ] Gegner des Abkommens mit Kanada sehen in Ceta eine Blaupause für den transatlan­tischen Handelspak­t TTIP.

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