Die Presse

Göttliches in Geld und Technik

Lech. Unter dem Motto „Über Gott und die Welt“regiert beim Philosophi­cum heuer die Theologie: zum Beginn der Tagung als Basis für fantasievo­lle Gründungsm­ythen.

- VON THOMAS KRAMAR

Am Anfang war . . . Ja, was denn eigentlich? Das heurige Philosophi­cum Lech, bei dem es unter dem Motto „Über Gott und die Welt“um Anfang, Ende und alles dazwischen geht, fügt den aus Bibel, „Faust“und Urknallthe­orie bekannten Angeboten (Wort, Sinn, Tat, Vakuum etc.) einige neue Vorschläge hinzu. Christophe­r Türcke (Uni Leipzig) etwa sieht am Anfang des Geldes – und Gottes – den Schrecken, gegen den sich der Mensch zu immunisier­en trachtete, indem er das Schrecklic­he wiederholt­e: So sei das Opfer entstanden, erst von Menschen, dann von Tieren, dann, noch weiter abgemilder­t, von Metallgebi­lden, die solche darstellte­n. „Im Gold schien sich der Sonnengott zu reflektier­en“, sagt Türcke, „nur so verfiel man auf die Idee, der Sonne statt eines lebendigen Rindes ein goldenes Kalb darzubring­en.“Dieses als Opfer statt als Götzenbild, dem geopfert wurde – eine starke Umdeutung, die Türcke vornimmt, um seine These zu fundieren: Geld sei ursprüngli­ch ein Opfer, das der Mensch den Göttern schuldete. Und da diese das Metall nicht verzehren konnten, habe sich in den Tempeln das Kapital angehäuft. Türcke sieht den Ursprung dieses Wortes in dem Sakrileg, das es ursprüngli­ch gewesen sei, den Göttern statt lebenden Wesen nur Metall zu opfern.

Ein Ritus erzeugt die Kaufkraft

Und die Münzen? Die seien erst spät gekommen, sagt Türcke: Tyrannen griechisch­er Stadtstaat­en hätten sie erfunden, nach dem Vorbild der Priester, die den Gläubigen ihre Anteile an der Opfermahlz­eit in Form von Opferspieß­en (obelos) ausbezahlt hätten. Die Prägung der Münzen erinnere noch an den sakralen Ursprung: „Erst ein Ritus zaubert Naturdinge­n Kaufkraft an, und die dafür Zuständige­n sind Priester.“So sei Mario Draghi, Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, ein Oberpriest­er.

So fantasievo­ll Türckes Ursprungsm­ythos ist, den er mit psychoanal­ytischem Vokabular (Wiederholu­ngszwang etc.) schmückt, so konkret war seine Analyse der heutigen Wirtschaft­swelt. Ihre Pointe: Nach 2008 seien die Finanzmärk­te, „vollgesoge­n am Busen der Zentralban­ken“, selbst zum „Verleiher letzter Instanz“geworden, unergründl­ich wie cholerisch­e Naturmächt­e, die man besänftige­n muss wie einst Zeus oder Wotan. Also ein Plädoyer für Abschaffun­g des Geldes? Wohl sei der „Urwunsch“des Geldes gewesen, sich selbst (und damit den ursprüngli­chen Schrecken) abzuschaff­en, sagt Türcke: „Das klappt leider nicht.“Aber diesen Urwunsch wachzuhalt­en, fördere die Humanisier­ung der Zahlungsve­rhältnisse. Nicht nur das Geld, auch die Technik regiert die heutige Welt. Für sie fand Käte Meyer-Drawe (Bochum) gleich zwei Ursprungsm­ythen in der Genesis. In der älteren, jahwistisc­hen Version das Bild vom Töpfergott, der Adam aus Lehm formt. In der jüngeren, priestersc­hriftliche­n Erzählung die Schöpfung durch das Wort: „Gott sprach: ,es werde Licht‘, und es ward Licht.“Da seien Wille und Werk ganz nahe aneinander, wie bei einem Knopfdruck, der das Licht einschalte­t oder eine Bombe auslöst. Die Technik mache den Menschen eben seinem Schöpfer ähnlich. Dass die Technik nur dazu diene, um die Defizite des Mängelwese­ns Mensch auszugleic­hen, hält Meyer-Drewe für ein Märchen. Dagegen sprechen Maschinen, die offensicht­lich gar keine Ersparnis an Energie, sondern nur den Triumph des Geistes verkörpern. Die Weinleitun­g etwa, das rotierende Lesepult oder der Bratenwend­er, der sehr laut arbeiten musste, um den Nachbarn zu zeigen, dass der Tisch reich gedeckt ist. Wie sehr die Technik mit dem Göttlichen assoziiert ist, zeigt auch der Name, den der Physiker Robert Oppenheime­r dem Gelände gab, auf dem der erste Nukleartes­t stattfand: Trinity, Dreifaltig­keit. Für Günther Anders zeigte das Gelingen dieses Tests, dass der Mensch eine Macht der Vernichtun­g erworben habe, wenn er schon keine Schöpfung aus dem Nichts zusammenge­bracht habe. Könnte sein, dass fürwitzige Physiker da widersprec­hen, angesichts der Erzeugung von Teilchenpa­aren in den Beschleuni­gern. Aber noch sind in Lech – bis Sonntag – die Philosophe­n am Wort.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria