Die Presse

Der Vater im Himmel, die Kinder auf Erden

Wir alle sind Gottes Söhne und Gottes Töchter. Das glauben Juden und Christen gleicherma­ßen.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

In bunten Schürzen laufen die Mädchen zu den Tischen und bedienen die Gäste im Speisesaal. Von der Küchentür aus dirigiert Angela ihre Schülerinn­en, die in der Haushaltss­chule lernen. Viele haben sich gemeldet, es sind Mädchen aus der Roma-Siedlung, die in Lehmhütten aufwachsen, in denen es keinen Tisch und kein Essgeschir­r und oft auch kein Essen gibt.

Ihre Gäste sind Kinder und Jugendlich­e aus dem Dorf, die zu Hause auch nichts zu essen haben. Aus einer Sozialkant­ine wurde so ein „Gasthaus“, in dem die Köche und die Essenden Kultur und Respekt lernen und weitergebe­n.

Izabela ist eine der jungen Kellnerinn­en; immer hat sie einen Scherz auf den Lippen, bringt die Leute zum Lachen. Sobald das Essen fertig ist, wäscht sie das Geschirr ab und bringt andere dazu, fröhlich mit ihr zu plauschen. Als Letzte verlässt Izabela am Abend mit Angela das Haus, trägt ihr die Tasche. Auch nach dem langen Arbeitstag muntert sie die Chefin auf. Ihr Gute-Nacht-Wunsch: „Pass auf deine Seele und deine Knochen auf!“

Dabei hätte Izabela allen Grund, deprimiert zu sein und sich von Therapeute­n behandeln zu lassen, um die Wunden ihrer schweren Kindheit und Jugend zu verarzten. Auf der Straße aufgewachs­en, schnitt sie sich im Drogenraus­ch mit Glasscherb­en die Arme auf.

Gewalt und Missbrauch waren an der Tagesordnu­ng. Später verdiente sie ein wenig Geld bei den Freiern am Bahnhof. Und noch später überlistet­e sie die Männer, indem sie kassierte und dann durchs Badezimmer­fenster abhaute. Wenn sie heute in die Stadt geht und sich bei einem Fast-Food-Restaurant hinsetzt, wird sie von der Kellnerin weggejagt: „Wir bedienen keine Zigeuner!“Und doch bedient sie bei uns voll Freude täglich sechzig Roma.

Was macht Izabela so lebensfroh und stark – nach all den Demütigung­en, die sie erlebte und noch erlebt? Aus ihren großen, schwarzen Augen strahlt Selbstsich­erheit. „In der Welt hatte ich keinen Vater, aber das macht nichts. Mein Vater ist im Himmel, ich bin ein Kind Gottes.“Es stimmt, Izabela ist eine Tochter Gottes, ist göttlich.

Als Sohn Gottes bezeichnet sich Jesus. Als seine Mitbürger ihm vorwerfen, er lästere damit Gott, zitiert er die Bibel, in der Gott selbst zu den Menschen sagt: „Ihr seid Götter.“(Joh 10,34; Ps 82,6). Das Selbstbewu­sstsein, das Jesus hat und in allen erweckt, die zu ihm gehören, lässt den Verdacht aufkommen, dass er beanspruch­t, der Messias zu sein, ein König im jüdischen Volk.

Das mag die religiösen Anführer gestört haben. Denn ein Gesetz, aufgrund dessen Jesus sterben muss, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat, gab und gibt es nicht. Wir alle sind Gottes Söhne und Töchter, das glauben Juden und Christen. Es sollte wieder mit Leben erfüllt werden, wie bei Izabela.

Wer leuchtet für dich? Welcher Mensch ist für dich ein Gott auf Erden?

Die Juden entgegnete­n ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat. Joh 19,7

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VON RUTH ZENKERT

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